»Blankoscheck für den Geheimdienst«

Der Jurist Ulf Buermeyer über das BND-Gesetz und ein professionelles Engagement für Grundrechte

  • Lesedauer: 5 Min.

Sie beschreiben die Gesellschaft für Freiheitsrechte, deren Vorsitzender Sie sind, als Rechtsschutzversicherung unseres Grundgesetzes. Warum ist das nötig?
Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass im Gesetzgebungsverfahren häufig Grundrechte auf der Strecke bleiben. Das kann auch nicht überraschen, denn das Gesetzgebungsverfahren baut auf Mehrheiten auf. Grundrechte schützen aber auch Rechte von Minderheiten, und die kommen dann gelegentlich unter die Räder. Mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte wollen wir sicherstellen, dass Gesetze, die in Grundrechte eingreifen, in sehr professioneller Weise vor dem Bundesverfassungsgericht oder auch vor anderen Gerichten angegriffen werden.

Auf Ihrer Homepage stolpert man über den Begriff »strategische Prozessführung«. Was ist das?
Das bedeutet, dass wir nicht willkürlich Fälle nehmen, die gerade passieren, sondern uns überlegen, welche rechtlichen Probleme gibt es zum Beispiel bei einem neuen Gesetz. Dann prüfen wir, welche Einschränkung von Grundrechten es dadurch gibt und wie wir diese Freiheitsrechtsbeeinträchtigung am effektivsten rechtlich angreifen und korrigieren können. Im nächsten Schritt suchen wir Juristinnen oder Juristen, die besonders qualifiziert sind, um eine Klage zu schreiben, und Personen, die als Klägerin oder Kläger oder auch als Beschwerdeführer vor dem Bundesverfassungsgericht auftreten können.

Sie sind an der Klage gegen den »Anti-Whistleblowing-Paragraph« beteiligt, die vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht wurde.
Im Fall der sogenannten Datenhehlerei haben wir zunächst das Rechtsproblem gesehen, nämlich die massive Auswirkung auf den investigativen Journalismus. Da sind wir relativ schnell sowohl auf netzpolitik.org, als auch auf Reporter ohne Grenzen gekommen, weil die viel Erfahrung damit haben, die Pressefreiheit vor staatlichen Übergriffen zu schützen. Und als Beschwerdeführer haben wir eine Reihe von Journalistinnen und Journalisten gefunden.

Sie sind also Kopf eines Netzwerks?
Ja, das kann man so sagen. Die Hauptaufgabe der Gesellschaft für Freiheitsrechte ist die Koordination und Finanzierung, größtenteils über Fundraising. Wir sind also keine Anwaltskanzlei. Natürlich haben wir viele Juristen an Bord, weil wir ja juristische Sachverhalte einschätzen müssen, aber wir selber vertreten niemanden. Wir wollen sicherstellen, dass der Geldbeutel nicht die entscheidende Rolle spielt bei der Frage, ob man eine Freiheitsbeeinträchtigung angreifen kann.

Wie wichtig ist es denn, dass Verfassungsklagen auf strategische Weise angegangen werden?
Es ist gar nicht so einfach, eine wirklich gute Verfassungsbeschwerde zu erheben. Dazu braucht es die richtigen Beschwerdeführer, die besonders plausibel geltend machen können, dass dieses Gesetz zum Beispiel in ihre Freiheitsrechte eingreift. Und außerdem braucht es natürlich Geld, weil man jemanden bezahlen muss, der das gut macht.

Über wie viel Geld reden wir da?
Das können schon mehrere zehntausend Euro sein. Das ist aber absolut gerechtfertigt, zumal das ehrlich gesagt auch nicht wahnsinnig teuer ist, denn da muss sich jemand hinsetzen und mehrere Dutzend wenn nicht hundert Stunden an einer solchen Verfassungsbeschwerde arbeiten. Das sind also mehrere Wochen Arbeit. Und wenn das dann unterm Strich 20 000 Euro kostet, ist das ein ziemlich guter Preis.

Das erste Verfahren, das Sie öffentlich gemacht haben, war gegen das sogenannte Artikel-10-Gesetz.
Genau, dabei geht es um die sogenannte strategische Telekommunikationsüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst. Die Spielregeln, die dafür gelten, sind aus unserer Sicht viel zu weitgehend. Selbst der ursprünglich von der CDU benannte Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier hat in seiner Anhörung vor dem NSA-Untersuchungsausschuss scharf kritisiert, was nach dem G10 so alles möglich ist. Es hebelt das Telekommunikationsgeheimnis aus, wenn der BND weitgehend anlasslos Telekommunikationsverbindungen abhören darf.

Ähnliche Probleme sehen Sie auch bei dem im Oktober vom Bundestag verabschiedeten BND-Gesetz, das Sie im vergangenen Jahr ebenfalls angegriffen haben...
...nur dass es da nicht um grenzüberschreitende Kommunikation geht, sondern um Telekommunikationsüberwachung im Ausland, die letztlich keine effektiven Schranken mehr kennt. Damit bleibt vom Telekommunikationsgeheimnis aus unserer Sicht nichts mehr übrig. Das halten wir für rechtsstaatlich unvertretbar.

Es gibt ja noch eine ganze Reihe anderer Gesetze, gegen die Sie klagen werden. Sie sagten mal, dass Sie künftig im Monatstakt Beschwerden verfassen werden.
Den Monatstakt können wir zwar noch nicht versprechen, aber wir wollen beispielsweise auch Landesgesetze in den Blick nehmen. Das ist ein Feld, das bislang weitgehend unbestellt ist. Auf Landesebene fehlen noch viel deutlicher die Ressourcen als auf Bundesebene, sowohl personell als auch finanziell. Wir bereiten gerade fleißig Beschwerden vor, da gibt es aber noch nichts Spruchreifes.

Wie kann das überhaupt sein, dass Gesetze mit solcher Geschwindigkeit, wie das beim BND-Gesetz der Fall war, durchgewunken werden?
Das müsste man Politikerinnen und Politiker der Großen Koalition fragen, wie sie es mit ihrem Gewissen vereinbaren können, einen solchen Blankoscheck für einen Geheimdienst durchs Parlament zu lassen. Die Zustimmung aus der SPD kann ich mir nur mit dem Willen zum Koalitionsfrieden erklären. Da dürfte vielen bei der Abstimmung mehr oder weniger die Hand abgefallen sein, aber sie haben es letztlich mitgetragen. Und das zeigt, dass der demokratische Prozess in Deutschland nicht in jedem Fall eine Gewähr dafür bietet, dass das Gesetz mit den Grundrechten kompatibel ist. Das BND-Gesetz ist da ein besonders krasses Beispiel, aber es zeigt, dass es eine professionelle Organisation wie die Gesellschaft für Freiheitsrechte braucht, die in solchen Fällen eine Verfassungsbeschwerde erhebt.

Fehlt der Wille oder das Wissen der Abgeordneten, sich einem solchen Gesetzentwurf entgegenzustellen?
Ich glaube, dass viele Abgeordnete nicht wirklich wissen, was Geheimdienste eigentlich tun. Das prägt ja auch die Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses. Von Seiten der Bundesregierung und der Dienste wird alles getan, um zu vernebeln, was tatsächlich passiert. Es gibt also ein massives Problem auf der Tatsachenebene. Und darüber hinaus trösten sich wahrscheinlich auch einige mit dem Gedanken, dass die harten Grundrechtseingriffe auch Terroranschläge verhinderten. Zudem wird immer wieder betont, wie wichtig die Arbeit der Geheimdienste doch sei. Und letztlich hören wir aus den Bundesministerien, die die Gesetzentwürfe erarbeiten, dass das alles verfassungsrechtlich völlig unbedenklich sei.

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