Kiew: Klubs und Kunst statt Krieg und Krise

Drei Jahre nach dem Maidan wollen die Ukrainer in ihrer Hauptstadt vor allem abschalten

  • Denis Trubetskoy, Kiew
  • Lesedauer: 7 Min.

Die ukrainische Hauptstadt Kiew hat sich verändert. Gleich nach den Ereignissen vom Februar 2014 standen die Zeichen für die größte Stadt der Ukraine nicht gut. Zwar schaffte es Kiew in aller Welt in die Schlagzeilen, doch die schwere wirtschaftliche Krise wie die Annexion der Krim und der Krieg im Donbass konnten auch der Hauptstadt keine gute Perspektive eröffnen. Gerade in der Innenstadt machten viele Geschäfte und Restaurants wegen finanzieller Engpässe zu, die Kriminalitätsrate stieg rasant.

»Die Ausgangslage ist heute nicht anders«, sagt Dmytro Borissow, der zehn Restaurants in Kiew besitzt - und meint dabei vor allem die Wirtschaft. Denn es sind in erster Linie Kiewer Unternehmer, die unter der Finanzkrise schwer gelitten haben. Seit dem Maidan hat die ukrainische Nationalwährung Hrywnja mehr als 100 Prozent gegenüber dem Euro verloren.

Dieser Sinkflug setzt sich immer noch fort, wenn auch nicht mehr in solch einem rasenden Tempo wie damals. Die Mieten in Kiew sind schier unbezahlbar geworden, während Zusammenarbeit mit einigen europäischen Partnern zum Ding der Unmöglichkeit wurde. »Den meisten ging es einfach darum, ihr Business nicht komplett aufzugeben«, betont Borissow. Das hieß oft: raus aus dem Zentrum, rein in die Randbezirke.

Doch während das Ende der Krise nicht in Sicht ist, boomt die Gastronomie- und Unterhaltungsbranche. Borissow, der sein Restaurantnetz vergrößern will, sieht mehrere Gründe für diese Entwicklung. »Hier in der Ukraine haben wir mehrere Krisen erlebt, deswegen wissen wir ja auch, wie man damit umgeht«, sagt er. »Aber es geht auch darum, dass die Lage sich leicht stabilisiert hat. Und da hilft es nicht, wenn man einfach herumsitzt und auf gutes Wetter wartet. Vielmehr sollte man versuchen, sich mit kreativen Ideen durchzusetzen.« Einst war die sogenannte Gastrobar Barsuk eine solche Idee, mit der Borissow den Durchbruch schaffte, nun ist er vor allem wegen des ukrainischen Restaurants Kanapa am Andreassteig bekannt.

Doch auch für Borissow ist klar: Ein großer Teil der Menschen, die in teureren Restaurants wie Kanapa ihr Geld lassen, sind nicht Ukrainer, sondern Ausländer. Auch wenn die internationalen Schlagzeilen über die Lage in der Ukraine nicht zwangsläufig positiv sind, wurde die Maidan-Revolution zu einer großen Werbung für die ukrainische Hauptstadt.

Zudem ist Kiew durch den Sinkflug der Hrywnja für Ausländer viel billiger geworden, während der Service schon immer stimmte. »Für Europäer ist es unvorstellbar, wie sie für 12-13 Euro ein gutes Mittagsessen in einem guten Restaurant mit einem guten Service kriegen können«, sagt Borissow. Für ihn ist Kiew in der Branche auch gegenüber Städten wie Berlin oder Barcelona überlegen.

Gerade mit Berlin wird die ukrainische Hauptstadt derzeit oft verglichen. Kiew wird sogar von vielen als »neues Berlin« dargestellt - obwohl es sich dabei eher um einen Scherz handelt, hat dieser trotzdem durchaus einen Sinn.

Das ist zumindest die Meinung von Bohdan Konakow, der für das Kiewer Stadtmagazin »Chmarotschos« arbeitet. »Natürlich kann die Nachtkultur Kiews nicht ganz mit der von Berlin verglichen werden«, schreibt Konakow. »Aber wie in Berlin ist hier ebenfalls vieles quasi aus den Ruinen entstanden. Über welche Klubs, über welche Partys kann man während des Krieges reden? Aber vielleicht sind Musik und Tanzen genau das, was uns die Kraft gibt, nicht aufzugeben.«

Eine Idee, für die ganz klar das Beispiel Berlin genutzt wurde, sind halbkonspirative Technopartys, die den Namen »Schema« tragen. Einmal in zwei bis drei Monaten sammeln sich die meist jungen Menschen stets an einem neuen Ort. Meist gibt »Schema« vor allem den lokalen DJs und Musikern eine Chance - und ist trotzdem sehr beliebt in Kiew. »Wir haben in den ersten Monaten des Jahres 2014 angefangen. Da hatte sich die politische Lage stark zugespitzt«, erzählt Slawa Lepschejew, der die »Schema«-Partys veranstaltet. »Das Kiewer Nachtleben war ein paar Monate quasi verschwunden, deswegen konnten wir uns leichter durchsetzen.«

Auch Lepschejew glaubt, die Klubszene Kiews entwickelt sich auch deshalb so stark, weil es für die Menschen wichtig ist, einmal abzuschalten. »In anderen Großstädten des Landes ist eine ähnliche Entwicklung zu beobachten«, sagt er. »Kiew hat allerdings eine andere Dimension - auch weil hier Menschen aus dem ganzen Land leben. Sowohl aus Lviv als auch von der Krim oder aus dem Donbass.« Das alles trage dazu bei, dass eine gewisse Atmosphäre der Einigkeit entstehe, die gerade in diesen Zeiten nicht unbedingt als Spiegelbild der politischen Lage gelte. Auch bei anderen solchen Partys wie die vom »Rhytm Büro« sind diese Entwicklungen zu beobachten.

»Die Maidan-Revolution hat uns auch aus anderer Sicht verändert«, erzählt DJ Vero, die Partys von »Rhytm Büro« organisiert, im Magazin »Chmarotschos«. Früher war es für die Veranstalter üblich, an die Kiewer Behörden Schmiergeld zu bezahlen, damit sie nicht ins Visier der Polizei und der Sonderbehörde für Drogen kommen. »Jetzt machen die meisten Veranstalter alles offiziell, nichts wird schwarz bezahlt. Das zeigt vor allem, dass der Maidan weitergeht. Wir führen unseren Kampf gegen das System fort«, sagt sie. »Rhytm Büro« funktioniert ähnlich wie »Schema«: einzelne Partys an verschiedenen Orten, doch anders als dort treten in diesem Fall auch bekannte Ausländer auf.

Die besten DJs aus dem Ausland wählen allerdings einen anderen Standort: Der »Club Closer« gehört zu den besten Europas - und wird mit dem Berliner »Berghain« verglichen. Das ist nicht als Scherz gemeint. Trotz der scharfen Drogenpolitik - anders als bei anderen Klubs, in denen der Verkauf der Drogen verbreitet ist - hat »Closer« schwierige Beziehungen zu der Kiewer Polizei. Vor allem Anfang letzten Jahres schauten die Polizisten oft vorbei, um alle Besucher zu durchsuchen. Die Aktionen der Polizei führten zu großen Protesten der Klubszene, der grundlegende Konflikt ist bisher bei weitem nicht gelöst. Das Image von »Closer« ist trotzdem auch im Ausland enorm groß.

Es ist dennoch nicht nur das Nachtleben, das sich in Kiew seit der Maidan-Revolution stark entwickelt. Auch die Kunstszene legt vor: Vor allem mit dem »PinchukArtCentre«, dem Moderne-Kunst-Zentrum des ukrainischen Oligarchen Wiktor Pintschuk im Zentrum Kiews, wie auch mit der »Artwerkstatt Platforma«, die sich in einer ehemaligen Werkstatt am Stadtrand der ukrainischen Hauptstadt befindet. Das »PinchukArtCentre« wurde bereits 2006 eröffnet, doch der wirkliche Durchbruch kam erst nach dem Maidan. Das Zentrum ist mittlerweile einer der wenigen Orte in Osteuropa, an dem große europäische Künstler regulär ihre Ausstellungen veranstalten.

»Dieses Zentrum ist eine Herzensangelegenheit für mich«, sagt Pintschuk selbst, einer der bekanntesten ukrainischen Oligarchen im Ausland, der in der Ukraine umstritten ist. »Mit dem «PinchukArtCentre» gelingt es uns, das Land und die Stadt Kiew im kulturellen Bereich bekannter zu machen - vor allem in Europa.« Ihrerseits ist »Platforma« aus dem Konzept einer kleinen Kulturstadt entstanden. Auf der Gelände der früheren Werkstadt findet man alles: Ausstellungen, Cafés und Buchhandlungen - und vieles mehr. Auch große Konzerte und Festivals finden bei »Platforma« statt. Mit alldem ist sie längst zum Mittelpunkt des Kulturlebens der Stadt geworden.

Die Politik spielt dabei eher keine Rolle - weder in einem Nachtklub noch in einem Kulturzentrum. »Die politischen Diskussionen lassen die Menschen bei Facebook liegen, hier geht es ihnen vor allem um den Zusammenhalt«, meint Kulturjournalist Konakow. »Sie wollen tatsächlich abschalten - und nicht nur vom Krieg.« Gründe gibt es genug: Eine anstrengendere Stadt als Kiew gibt es in der Ukraine nicht. Zwar bietet die Hauptstadt die größten Gehälter, aber auch die höchsten Mieten und teils kaum noch bezahlbare Kommunaltarife. »Ich weiß ja selbst nicht, wie die meisten Kiewer ihr Leben finanzieren«, räumt Konakow ein.

Der Unternehmer Borissow weist die These zurück, dass noch immer Lviv die Kulturhauptstadt des Landes sei. »Das ist längst Kiew - und es wird immer offensichtlicher«, sagt er. »Lviv hat zwar die schönere Architektur, aber hier gibt es viel mehr Leben. Das ist auch logisch, weil es in Kiew viel mehr Menschen aus verschiedenen Regionen des Landes gibt.« Ob man Kiew denn ernsthaft mit Berlin vergleichen könne? »Nein, denn Berlin ist Berlin - und Kiew bleibt Gott sei Dank Kiew.«

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