Graz: Kommunisten werden zweitstärkste Kraft
KPÖ verteidigt bei Gemeinderatswahl ihre Position und verweist die rechtspopulistische FPÖ auf Platz drei
Am frühen Sonntagnachmittag sitzt Elke Kahr, kommunistische Wohnungsstadträtin und Vizebürgermeisterin von Graz, alleine in ihrem Büro. Sie geht die von den Hausverwaltern der stadteigenen Wohnungen verfügten Kündigungen durch, kommentiert jeden einzelnen Fall. »Ah, der hat bloß zwei Mieten Rückstand. Das ist keine Tragik.« Seit die KPÖ das kommunale Wohnungswesen verantwortet, gibt es eine interne Delogierungsprävention. Sämtliche Kündigungen landen auf Kahrs Tisch - die betroffenen Mieter werden zum Gespräch gebeten, um den Wohnungsverlust doch noch abzuwenden. »Aufgrund von Mietrückständen wird bei uns kaum noch jemandem gekündigt«, sagt Kahr. Nervös wirkt sie in diesen Stunden nicht und wüsste man es nicht besser, man könnte den Eindruck gewinnen, es wäre nicht Wahltag. »Wir haben vier Jahre gut gearbeitet, nicht mehr lange, dann werden wir es ohnehin wissen.«
Zwei Stunden später steht fest: Bürgermeister Siegfried Nagl von der bürgerlichen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) entscheidet mit 37,7 Prozentpunkten (+3,9) die Wahl überraschend deutlich für sich. Im Rennen um Platz Zwei zwischen der KPÖ und der rechtspopulistischen FPÖ behaupten sich Erstere klar. Bei rund 20,4 (+0,5) Prozentpunkten sieht das vorläufige Endergebnis die Kommunisten. Damit nähern sie sich der Rekordmarke von Ernest Kaltenegger an, der als Spitzenkandidat 2003 nahezu 22 Prozent erreichte hatte. Die Freiheitlichen legen zwar zu, allerdings weniger stark als gemeinhin erwartet um lediglich 2,5 Prozentpunkte – sie landen bei 16,3 Prozent und damit auf Platz Drei. Die Grünen (10,2 Prozent) verlieren ein Prozent, die SPÖ (10,1 Prozent) fünf Prozent und mit den bürgerlich-liberalen NEOS zieht eine weitere Liste mit 3,8 Prozentpunkten in den Gemeinderat ein.
Neben der ÖVP ist damit die KPÖ Gewinnerin des Abends. Die proklamierten Wahlziele - Platz zwei zu verteidigen und an Stimmen nicht zu verlieren - wurden übertroffen. Ein starkes Ergebnis bei den Briefwahlstimmen könnte der Partei gar einen zweiten Stadtratssitz bescheren. Ein Ergebnis ist im Laufe des Montags zu erwarten. Entsprechend erleichtert reagierte denn auch Elke Kahr am Sonntagabend auf das Ergebnis. »Die Freude ist natürlich groß. Ich hätte mir ja nicht gedacht, dass wir es schaffen können«, so Kahr in den Räumen des KPÖ-Klubs, der kurz nach 17 Uhr von Journalisten belagert wird zu »nd«. Und: »Wir werden auch in den kommenden Jahren der Garant für eine konsequente Sozialpolitik in dieser Stadt sein.«
Für die KPÖ ist der Triumph über die rechtspopulistische FPÖ auch eine Bestätigung in anderer Hinsicht. Im Unterschied zu vergangenen Wahlgängen adressierten die Kommunisten die FPÖ diesmal direkt, setzten dem spalterischen »Holen wir uns unser Graz zurück« der Rechtsextremen mit »Haltung zeigen, Hoffnung geben« und »Wir alle sind Graz« Slogans entgegen, die sich positiv auf die Buntheit der Stadt bezogen. Das betont auch Ernest Kaltenegger, der im Gemeinderatssitzungssaal die eingehenden Ergebnisse studiert. »Es zeigt sich«, so Kahrs Vorgänger als Wohnungsstadtrat, »dass eine starke Linke die Rechtsextremen in Zaum halten kann«.
Vieles spricht dafür, dass Bürgermeister Nagl nun das Bündnis mit der FPÖ suchen wird. Im Gegensatz zur KPÖ attestierte er den Rechtspopulisten zuletzt jedenfalls Regierungsfähigkeit. Eine Perspektive, die den Altvorderen Kaltenegger nicht ängstigt. »Schon Mitte der 1970er Jahre hatten wir eine schwarzblaue Koalition, sogar eine mit einem Freiheitlichen als Bürgermeister. 1983 wurden sie dann abgewählt.«
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