Omid Nouripour: Mehr Europa und Solidarität gegen Trump
Der Grünen-Politiker im Gespräch über die Pläne des US-Präsidenten und die Notwendigkeit, als starker Kontinent gegenüber Washington aufzutreten
Herr Nouripour, der von US-Präsident Donald Trump verhängte Einreisestopp für Menschen aus sieben muslimisch geprägten Ländern ist vorläufig gekippt worden. Ein Sieg für die offene Gesellschaft?
Das zeigt, dass die Rechtsstaatlichkeit in den USA weiterhin funktioniert. Natürlich hat jedes Land das Recht zu entscheiden, wer einreisen darf und wer nicht. Trump wollte, dass Menschen mit einer bestimmten Herkunft und ohne jede Chance auf Überprüfung nicht einreisen dürfen. Das ist der Grund, der das Gericht dazu bewogen hat, das Dekret zu kassieren. Darüber kann ich mich nur freuen. Und ich hoffe, dass es so weitergeht, dass also die gröbsten Ungerechtigkeiten Trumps, von denen es noch sehr viele geben wird, zumindest gerichtlich gestoppt werden können.
Der »Muslim Ban« hätte auch zur Folge gehabt, dass Sie als Deutsch-Iraner nicht mehr in die USA gekommen wären. Wie hätte sich das Dekret auf Ihre Arbeit ausgewirkt?
Das wäre schon drastisch gewesen, weil für mich als Außenpolitiker natürlich auch die Verbindungen nach Washington dazu gehören. Mein Fall ist aber nichts gegen die Familien, die durch das Dekret auseinandergerissen wurden, weil die Mutter gerade auf Dienstreise oder das Kind auf Klassenfahrt war.
Omid Nouripour (41) wurde in Teheran geboren. Als er 13 Jahre alt war, verließ er mit seiner Familie die Heimat und ging nach Frankfurt am Main. Seit 2006 sitzt er für die Grünen im Bundestag, aktuell ist er außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Mit ihm sprach Max Zeising.
Was bedeutet der Dämpfer für Trump für seine kommenden Projekte? Wird er nun vorsichtiger?
Ich habe mir abgewöhnt, Prognosen über Trump abzugeben. Ich habe keine Ahnung, wie er sich weiterentwickeln wird. Ich hoffe nur, dass die Kongressabgeordneten begreifen, dass man ihm nicht alles durchgehen lassen kann, und die Prinzipien der Verfassung weiterhin geachtet werden.
Das Dekret ist indes nicht der einzige Versuch Trumps, die USA vom Rest der Welt abzuschotten. Auch die geplante Mauer an der Grenze zu Mexiko dient einem solchen Zweck. Wie beurteilen Sie Trumps Außenpolitik insgesamt?
Ich erkenne noch keine Außenpolitik, ich erkenne nur Widersprüche und Irrsinn. Auch die Mauer wird es nicht geben, Mexiko wird erst recht nicht dafür bezahlen. Fakt ist aber, dass der US-Präsident vieles kaputtmachen kann - etwa durch die Aufkündigung des Klimaabkommens von Paris oder des Atomabkommens mit dem Iran.
Wie sollte Europa, wie sollte die Bundesregierung auf die neue US-Politik reagieren?
Erstens: europäisch. Die Europäer müssen eine gemeinsame Linie finden. Zweitens müssen wir mit den Amerikanern das Gespräch suchen. Kollegen haben auf Twitter geschrieben: Wenn du nicht fahren darfst, fahre ich auch nicht. Das ist großartig solidarisch, aber falsch. Wir müssen hinfahren und das Gespräch mit dem Kongress suchen, vor allem aber mit den Leuten, die derzeit gegen Trump auf die Straße gehen. Und drittens: mit Haltung. Wenn Angela Merkel sagt, die transatlantische Partnerschaft sei wertebasiert, dann darf sie diese Basis auf keinen Fall verlassen.
Seit Trumps Amtsantritt werden die Forderungen nach einem starken Europa, nach Verteidigung der europäischen Werte immer lauter. Wie soll das gehen, driftet Europa momentan doch eher auseinander?
Der erste Schritt ist, dass wir wieder respektvoller mit- und übereinander reden. Wir sprechen mittlerweile so flapsig, etwa über die »faulen Griechen« oder über die »Franzosen, die nicht haushalten können«. Die Deutschen müssen wieder von ihrem hohen Ross herunterkommen.
Das heißt, die deutsche Führungsrolle in Europa ist falsch?
»Führungsrolle« ist der falsche Begriff, und die Deutschen wären auch die Falschesten, um diese Rolle auszufüllen. Jedoch wird auf Deutschland am meisten geschaut. Wir haben in Europa einen Nord-Süd- und einen Ost-West-Graben sowie einen Graben in der Flüchtlingspolitik. Diese Gräben kreuzen sich alle im Kanzleramt, weil viele glauben, dass dort die Probleme am besten gelöst werden können. Diese Aufgabe anzunehmen, heißt aber gleichzeitig, von eigenen nationalen Egoismen zurückzutreten.
Was heißt »starkes Europa« für Sie konkret? Brauchen wir eine gemeinsame Armee oder müssen wir nicht vielmehr auf einheitliche Sozialstandards setzen?
In vielen Bereichen ist der europäische Weg eindeutig der bessere. Dass man einen gemeinsamen Binnenmarkt geschaffen hat, ohne dass es gemeinsame soziale Richtlinien gibt, hat dazu geführt, dass die Leute sich fragen, was Europa eigentlich für sie macht. Das Problem ist aber nicht die EU, sondern sind die Mitgliedsstaaten, die die EU nicht machen lassen.
Sie fordern weiterhin, mit den Amerikanern zu reden. Mit wem konkret? Kann man mit Trump überhaupt reden?
Ich weiß nicht, ob man mit Trump reden kann. Ich weiß nicht einmal, wen ich treffe, wenn ich jetzt in die USA fahre. Aber wir müssen die Gespräche mit allen suchen, vorausgesetzt, wir bringen die eigene Haltung zum Ausdruck.
Wodurch zeichnet sich die europäische Haltung aus?
Die europäische Haltung muss dadurch gekennzeichnet sein, dass wir großen Wert auf Rechtsstaatlichkeit legen. Wenn ein Gericht einem Regierenden einen Strich durch die Rechnung macht, dann kann es nicht sein, dass der Regierende den Richter beschimpft und seine Qualifikationen in Frage stellt.
Aber was passiert denn, wenn dieses Dilemma weitergeht? Kann es dann überhaupt noch eine funktionierende transatlantische Partnerschaft geben?
Unbedingt. Die Wertepartnerschaft basiert schließlich in erster Linie nicht zwischen Regierungen, sondern zwischen den Bevölkerungen. Die Protestierenden gegen das Einreiseverbot, den Irakkrieg oder gegen Sexismus: Das sind die Trägerinnen und Träger der transatlantischen Beziehungen.
Auch Europa schottet sich ab. Argumentiert die EU nicht doppelzüngig, wenn sie Trump kritisiert?
Es gibt ein paar Unterschiede, aber im Prinzip ist der Vorwurf richtig, dass die Europäer Heuchelei betreiben. Ich verstehe auch manches nicht, zum Beispiel den geplanten Deal mit Libyen. Wer soll diesen denn auf libyscher Seite unterzeichnen? Solche Ad-hoc-Aktionen, die nur aus Hysterie und Angst vor der AfD vorangetrieben werden, sind genauso hanebüchener Unsinn wie Lafontaines Ausspruch, offene Grenzen seien eine Forderung des Neoliberalismus. Wir brauchen mehr offene Grenzen in den Köpfen der Politiker.
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