EU-Parlament will mit Reform zu einem bürgernahen Europa
Kommission sieht ambitionierte Pläne skeptisch / Österreichischer Präsident warnt vor Rückfall in Kleinstaaterei
Straßburg. Schneller, effizienter, bürgernäher: Die großen Parteien im Europaparlament wollen die Europäische Union mit weitreichenden Reformen aus der Krise holen. «Die Bürger erwarten Lösungen von Europa», sagte der CDU-Abgeordnete Elmar Brok am Dienstag in Straßburg. Unter anderem soll der Rat der Mitgliedsländer zu einer zweiten Parlamentskammer ausgebaut werden.
Die EU-Kommission warnte allerdings vor zu ambitionierten Plänen, die eine Veränderung in den europäischen Verträgen nötig machen würden. Hintergrund der Debatte ist die tiefe Verunsicherung in der EU angesichts des bevorstehenden Austritts Großbritanniens und des Kurswechsels in den USA. Auch die Bewältigung der Euro-, Terror- und Flüchtlingskrisen in Europa beflügelt die Reformdebatte vor dem 60. Jahrestag der Römischen Verträge von 1957, mit denen das Fundament der Europäischen Gemeinschaft gelegt wurde.
Der deutsche CDU-Politiker Brok warb dafür, die Spielräume des geltenden Lissabon-Vertrags auszuschöpfen. Sein Kernanliegen: Mehrheitsentscheidungen der Mitgliedsländer statt Einstimmigkeit. Brok forderte einen einzigen, öffentlich tagenden Ministerrat, der wie eine zweite Parlamentskammer wirken würde. Das gehe auch ohne Änderung der EU-Verträge. Heute suchen die Fachminister in diversen Räten meist hinter verschlossenen Türen gemeinsame Positionen. Obwohl bei vielen Themen Mehrheitsentscheidungen möglich wären, werden aus Sicht von Kritikern zu viele Fragen erst auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs bei deren Gipfeltreffen gelöst. Neben den großen christ- und sozialdemokratischen Fraktionen stellte sich auch die Grünen-Fraktionschefin Ska Keller hinter die Idee einer «ordentlichen zweiten Kammer».
Für noch weiter gehende Reformen setzt sich vor allem der belgische Liberale Guy Verhofstadt ein. Er verlangte in der Debatte des Europaparlaments unter anderem eine Verkleinerung der EU-Kommission, Änderungen des europäischen Wahlsystems, eine engere Zusammenarbeit in der Eurozone und einen europäischen Finanzminister. «Handlungsfähigkeit und Offenheit.
Grundlage der Debatte waren drei Berichte, die unter anderen Brok und Verhofstadt ausgearbeitet hatten und über die am Donnerstag abgestimmt werden soll. Die EU-Kommission will vor dem Jubiläum der Römischen Verträge Mitte März eigene Reformideen vorlegen.
Vor dem Europaparlament warnte am Dienstag der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen vor einem »Rückfall in die frühere Kleinstaaterei«. »Mit neuen Mauern und Nationalismen lösen wir kein einziges Problem - im Gegenteil, wir schaffen neue«, mahnte der 73-Jährige. dpa/nd
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.