Sitte will »dieses Land gemeinsam mit Euch zurückhaben«

LINKE in Sachsen-Anhalt stellt Hallenserin als Spitzenkandidatin für Bundestagswahl auf / Drei Landtagsabgeordnete zieht es nach Berlin

  • Hendrik Lasch, Wittenberg
  • Lesedauer: 3 Min.

Eines muss man Joachim Bogatka lassen: Mut hat er. Der Rentner und ehemalige Elektroingenieur ist unzufrieden mit den Verhältnissen im Land. Statt freilich zu Hause zu grollen oder empört um den Block zu ziehen, wagte er einen verblüffenden Schritt: Der Parteilose bewarb sich als Spitzenkandidat für die LINKE in Sachsen-Anhalt. Zu seinen Ideen, die er der Vertreterversammlung am Samstag in Wittenberg darlegte, gehörten kostenloses Telefonieren »wie in Russland«, der Ausstieg aus dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr und aus Großforschungsprojekten wie dem Teilchenbeschleuniger CERN: »Wo ist der Nutzen für die Bevölkerung?!«

Für vier Stimmen reichte das; die übergroße Mehrheit indes will lieber mit einer bewährten Politikerin an der Spitze in den Wahlkampf ziehen: Petra Sitte, seit 2005 im Bundestag, seit 2013 parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion und eine »akribische Arbeiterin«, wie Landesvize Andreas Höppner lobte. Sitte verwies in ihrer Bewerbung eindringlich auf die zugespitzte Stimmungslage im Land, wegen der »der demokratische Verfassungsstaat auf dem Spiel« stehe. Die LINKE müsse »ein klares Signal an die Mutigen« senden, die sich »nicht von Rechts Angst machen lassen«, sagte die 56-Jährige und fügte an: »Ich will dieses Land gemeinsam mit Euch zurückhaben!« Sitte erhielt 109 von 119 Stimmen, was 91,6 Prozent entspricht.

Noch klarer fiel das Ergebnis für Jan Korte aus, der ebenfalls mit Bogatka als Kontrahent auf 112 Stimmen kam (94,1 Prozent). Der Innenexperte, ebenfalls seit 2005 im Bundestag und dort Fraktionsvize, warb für eine kämpferische Antwort auf die sich ändernde politische Grundstimmung seit der Nominierung von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz. Zwar erwecke die SPD mit ihrer Euphorie den Eindruck, »dass sie was genommen haben«, sagte Korte. Zugleich sei es aber »gut, dass Bewegung in die Politik« gekommen sei und die Chance bestehe, die »Trümmertruppe« der Großen Koalition abzulösen und das »betreute Regieren der CSU« zu beenden. Die LINKE solle sich dem stellen und »die Segel neu setzen, wenn der Wind sich dreht«, sich aber zugleich auf ihre Stärken besinnen: »Keine Experimente im Wahlkampf!«

Um die folgenden drei Vorschläge des Landesvorstandes hatte es vorab einige Debatten gegeben. Mit Birke Bull-Bischoff, Matthias Höhn und Eva von Angern streben gleich drei erfahrene Abgeordnete des erst im März 2016 neu gewählten Landtags nach Berlin. Gefürchtet wird eine weitere Schwächung der ohnehin auf 16 Mitglieder geschrumpften Fraktion. Diese Sorge suchte Landesvize Höppner zu relativieren: Das eigentliche Problem sei nicht die personelle Zusammensetzung der Fraktion, sondern das mit der geringeren Zahl an Abgeordneten verbundene »Wegbrechen der politischen Infrastruktur im Land«. Höppner warnte davor, auch langjährige Fraktionsmitglieder für unersetzlich zu erklären: »Damit fällen wir ein Urteil auch über andere, und das ist nicht gerechtfertigt.«

Dennoch schlug sich der Unmut zumindest teils in den Ergebnissen nieder. Bull-Bischoff, die Landeschefin, kam gegen die kurzfristig von der Linksjugend Solid ins Rennen geschickte Pia Schilling auf 58 Prozent. Klarer fiel das Votum für Matthias Höhn aus: Der Bundesgeschäftsführer, der sich im Landtag auch mit Bildungsthemen beschäftigt hatte, kam gegen immerhin vier Mitbewerber auf 77,3 Prozent. Die Rechtsexpertin Eva von Angern aus Magdeburg musste dagegen sogar in eine Stichwahl gegen Evelyn Edler. Die Verwaltungsökonomin, die im März den Wiedereinzug in den Landtag verpasst hatte, vertritt den Kreisverband Harz und warb dafür, eine »regional aufgestellte Landesgruppe« zu bilden, in der auch die ländlichen Regionen repräsentiert sind. Von Angern, die auch dem Landesfrauenrat vorsteht, behielt mit 52,2 Prozent aber knapp die Oberhand.

Derzeit gehören der Linksfraktion in Berlin fünf Sachsen-Anhalter an. Mit Katrin Kunert, Rosemarie Hein und Roland Claus hatten drei von ihnen nicht wieder kandidiert.

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