Journalismus in gefährlichen Zeiten
Ismail Küpeli über die aktuelle Türkeiberichterstattung, Hetze von Erdogan-Anhängern und Solidarität von richtiger Seite
Seit über fünf Jahren schreibe und spreche ich über die politischen Entwicklungen in der Türkei. In den ersten Jahren, als »nur« die linke Zeitschrift »analyse & kritik« meine Berichte über die repressive Ausschaltung der Opposition und die staatliche Politik gegen die kurdische Bevölkerung abdruckte und die Einladungen zur Vorträgen von der lokalen Antifagruppe kamen, waren die positiven wie negativen Kommentare und Reaktionen eher überschaubar. Die deutsche Öffentlichkeit nahm nur wenig Notiz davon, was in der Türkei geschah – und wenn, dann in einer völlig absurd positiven Darstellung der türkischen Regierungspolitik. Die AKP wurde von den deutschen JournalistInnen als Reformkraft beschrieben, die die Türkei nach Europa führe und damit Demokratie und Menschenrechte verwirklichen würde. Die Kritik aus dem linken Rand an dieser hegemonialen Darstellung konnte recht einfach ignoriert werden.
In dieser linken Nische der Türkeiberichterstattung blieben ich und andere KollegInnen solange, bis die Verhältnisse in der Türkei nicht mehr schöngeredet werden konnten. Das geschah erst mit der brutalen Niederschlagung der Gezi-Proteste im Sommer 2013. Langsam bekam das bisherige Porträt der Türkei in den großen deutschen Medien Risse und die Kritik an der AKP-Regierung gewann Räume in der Öffentlichkeit. Linke Positionen wurden zumindest als eine erwähnenswerte Perspektive aufgenommen.
Der Journalist Ismail Küpeli schreibt für »nd« regelmäßig über die Türkei. Zudem arbeitet zur Zeit an seiner Dissertation über die »Kurdenfrage« in der Türkei an der Universität Köln.
Mit der medialen Öffnung kamen aber auch recht schnell der Hass, die Hetze und die Einschüchterungsversuche. Beispielsweise wurden Vorträge von mir über die Gezi-Proteste und die Politik der AKP-Regierung in Bildungseinrichtungen auf Druck der türkischen, regierungsnahen Verbänden abgesagt. Andere, die eine ähnliche Kritik an der türkischen Regierung formulieren, kennen ähnliche Fälle. Das Vorgehen war und ist einfach: Man versucht, die KritikerInnen als Extremisten als Radikale, als Terroristenunterstützer zu verunglimpfen, sucht nach Fragwürdigkeiten im Lebenslauf und in den Äußerungen dieser Menschen, um irgendwas belastendes zu finden. Wenn nichts gefunden werden kann, dann wird frei erfunden. Jemand schreibt über den Kurdenkonflikt? Das kann nur ein PKK-Sympathisant sein! So einfach wurde vorgegangen – leider zu lange zu erfolgreich.
Nach und nach wurden »wir« – Menschen, die sich kritisch mit der türkischen Regierungspolitik beschäftigen – ins mediale Rampenlicht geholt. Mit jedem Schritt wuchs auch die Reaktion. Als ich ab Sommer 2014 über die IS-Offensive auf die nordsyrische Grenzstadt Kobane twitterte, wuchsen aus dem Hass und der Hetze Gewaltdrohungen. Es waren allerdings weniger IS-Mitglieder oder -Sympathisanten, die sich meldeten, sondern türkische Nationalisten und Regierungsanhänger, die sich daran störten, dass die kurdischen VerteidigerInnen von Kobane der PKK nahestanden. Der Feind meines Feindes ist mein Freund – mit dieser Parole stellten sie sich gegen die kurdischen KämpferInnen und für den IS. Wer, wie ich, Sympathien für die VerteidigerInnen in Kobane hatte, gehörte damit dem Feind an und konnte angegriffen werden. Es blieb zum Glück bei Drohungen und Beleidigungen aus der Ferne.
Der Hass und die Hetze sind treue Begleiter von »uns« und das wird sich so schnell nicht ändern. Viele haben irgendwann aufgehört, sich dem auszusetzen. Sie haben ihre Benutzerkonten bei Sozialen Netzwerken geschlossen, Postadressen, E-Mail-Adressen und Telefonnummern geheim gehalten. Andere haben angefangen, mit den gleichen Waffen zu antworten, sind in Polemik und Fragwürdigkeiten untergegangen. Ich habe mich dann, wenn es zu viel wurde, für einen zeitweiligen Rückzug entschieden – wie zuletzt, als die Mitarbeit bei dem deutsch-türkischen Medienprojekt »Özgürüz« zu einer massiven Hetzkampagne führte. Weniger die einzelnen Hetzer, sondern ihre schiere Masse, hat dazu geführt, dass ein »weiter so« absurd schien. Die Appelle an Twitter und Facebook etwas gegen die Hetze zu unternehmen, blieben folgenlos.
Der letzte Rückzug führte allerdings zu etwas, was ich bis dahin leider kaum erlebt hatte, nämlich einer massiven Welle der Solidarität. Diese Solidarität, insbesondere die rechtliche Unterstützung der AnwältInnen des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins, hat die Kraft und den Mut zurückgegeben, weiterzumachen und den Hass und der Hetze in den Sozialen Netzwerken zu trotzen. Es ist ein schwieriger Kampf – aber man muss ihn nicht alleine ausfechten.
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