»Honduras’ Regierung hat mich gekidnappt«
Der mexikanische Umweltaktivist Gustavo Castro Soto über seine Zeugenrolle im Mordfall Berta Cáceres
Vom 2. auf den 3. März 2016 haben Sie im Haus von Berta Cáceres übernachtet. Sind Sie aus purem Zufall zum einzigen Augenzeugen des Mordes geworden?
Es hatte schon vorher mehrere Mordversuche gegen Berta gegeben, unter anderem einige Tage vor meiner Ankunft. Sie und ihre Organisation COPINH hatten mich zu einem Workshop eingeladen, bei dem es um den Widerstand gegen das Wasserkraftwerk Agua Zarca gehen sollte, und an jenem Tag hatten wir angefangen. Ich glaube, dass die Auftragsmörder nicht wussten, dass ich im Haus war.
Seit wann kannten Sie Cáceres?
Seit etwa 15 Jahren. Als Umweltaktivisten und über unsere Organisationen haben wir sehr eng zusammengearbeitet. Wir hatten großes Vertrauen zueinander. Ihr Tod war für mich sehr schmerzhaft.
Als Vorsitzende der Indigenen-Organisation COPINH hatte Cáceres die Proteste der lokalen Gemeinden gegen das umstrittene Wasserkraftprojekt Agua Zarca angeführt. Mit dem Direktor der Umweltorganisation Otros Mundos sprach über das Geschehen vor einem Jahr und seine Folgen für das »nd« Martin Reischke.
Bei dem tödlichen Anschlag auf Berta Cáceres wurden auch Sie beschossen. Wie konnten Sie den Angriff überleben?
Für mich ist das ein Wunder. Ich glaube, dass die Angreifer davon ausgegangen sind, dass ich schon tot war.
Nach dem Mord sind sie zu einem geschützten Zeugen geworden. Wer hat sie geschützt?
Eigentlich die honduranische Regierung, was absurd ist, weil sie selbst für viele Morde und die weitreichende Straflosigkeit im Land verantwortlich ist. Als Zeuge und Opfer kann ich davon ausgehen, dass ich entsprechend geschützt werde, um die Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen zu unterstützen. Von Schutz konnte keine Rede sein, denn innerhalb weniger Stunden war mein Foto in der Presse und jeder wusste, wer ich war. Also habe ich den Schutz durch die honduranische Regierung nicht akzeptiert und mich stattdessen in die mexikanische Botschaft geflüchtet.
Was ist dann passiert?
Die honduranische Regierung hat mich gekidnappt: Ohne jeglichen Beschluss oder irgendein Dokument haben sie mir verboten, das Land für 30 Tage zu verlassen, um genug Zeit zu haben, mir das Verbrechen anzuhängen. Sie wollten etwas in meinen Koffer tun, sie haben meine Stiefel konfisziert, um mich anhand der Fußspuren aus Bertas Haus zu inkriminieren. Unter Missachtung des Strafgesetzes und der Verfassung haben sie zu allerlei illegalen Praktiken gegriffen, aber am Ende hatten sie nichts gegen mich in der Hand und mussten mich gehen lassen.
Haben Sie von Ihrem Heimatland Mexiko tatkräftige diplomatische Unterstützung in Honduras bekommen?
Sowohl der Konsul als auch die Botschafterin haben sich sehr um den Fall gekümmert. Der Konsul hat mich in den gepanzerten Botschaftsfahrzeugen überall hingefahren, um sicherzustellen, dass mir nichts passiert. Ich glaube aber, dass die mexikanische Regierung nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, damit ich das Land hätte verlassen können.
Was hätte Mexiko aus Ihrer Sicht tun sollen?
Es gibt einen bilateralen Vertrag zwischen Mexiko und Honduras, der festlegt, dass ich als Zeuge und Opfer die Untersuchungen von meinem Heimatland aus unterstützen kann. Die mexikanische Regierung hat dieses Instrument allerdings nicht genutzt. Es gab überhaupt keinen formalen Grund, warum ich in Honduras hätte sein müssen, das ganze Vorgehen war illegal und die mexikanische Regierung hätte darauf hinweisen müssen. Sie hat aber einfach auf den Ablauf der 30-Tages-Frist gewartet, obwohl meine Menschenrechte vor ihren Augen verletzt wurden.
Wie konnten Sie das Land schließlich verlassen?
Am Ende war es wohl der politische Druck. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber plötzlich sagte die honduranische Regierung: ›Du darfst jetzt gehen.‹
Berta Cáceres war in Honduras und international sehr bekannt. Was sagt ihr Mord über die Lage von Menschenrechtsaktivisten in Honduras?
Er zeigt, dass die Regierungen bereit sind, alles zu tun, um Investitionen zu ermöglichen, aber auch, dass sich immer mehr Menschen in Lateinamerika dagegen erheben.
Ist die Lage der Menschenrechtsaktivisten in Honduras vergleichbar mit anderen Ländern in Zentralamerika?
Ja, natürlich. Honduras ist nur ein Beispiel dafür, was in ganz Lateinamerika passiert. Jedes Land hat seine Eigenheiten, aber überall gibt es viel Widerstand und eine Kriminalisierung von Menschenrechts- und Umweltaktivisten.
Für ein europäisches Publikum ist es schwer zu verstehen, warum Umweltaktivisten in diesen Ländern so gefährlich leben.
Ich denke, es fehlt an mehr Informationen und Bewusstsein für die Gründe der Konflikte. Diese hängen in den meisten Fällen mit Investitionen zusammen, die aus den USA, Kanada, Europa oder auch China stammen. Das sind Strom produzierende Unternehmen, Ölfirmen, Bergbau- und Agrarunternehmen, die unsere Länder ausbeuten. Wir sehen viel Solidarität von unterschiedlichen Sektoren, aber es gibt wenig Verständnis für die strukturellen Zusammenhänge.
Wie können Menschen aus Europa aktiv werden?
Die Kampagnen, die eine Bestrafung transnationaler Konzerne fordern, wenn diese im Ausland Menschenrechte missachten, sind sehr hilfreich. Außerdem muss überprüft werden, was mit den Geldern geschieht, die die Europäische Union an Lateinamerika auszahlt. Im Fall von Agua Zarca haben sich die holländischen und finnischen Geldgeber FMO und Finnfund vorläufig zurückgezogen, aber nicht aus eigenem Antrieb, sondern nur aufgrund des internationalen Drucks.
Sie leben im Moment nicht in Mexiko. Haben Sie diese Entscheidung zu Ihrer eigenen Sicherheit getroffen?
Momentan kann ich nicht nach Mexiko zurückkehren. Einerseits habe ich verschiedene Klagen gegen die honduranische Regierung angestrengt, andererseits sind die Auftragsmörder und die Schuldigen noch nicht alle festgenommen worden. Bisher sind es acht Personen, aber es ist möglich, dass noch einige fehlen. Solange die Klagen gegen die honduranische Regierung laufen und weil die Täter wissen, dass ich sie erkannt habe, möchte ich mich aus Sicherheitsgründen nicht in der Nähe von Honduras aufhalten.
In welcher Phase befinden sich die Untersuchungen?
Der ganze Prozess wird immer wieder hinausgezögert, damit der Mordfall in der Öffentlichkeit in Vergessenheit gerät. Wir fordern weiterhin, dass die Geheimhaltung der Untersuchungen aufgehoben wird und dass es mehr Transparenz gibt in der Information rund um den Fall und die Ermittlungen.
Gibt es den politischen Willen, den Fall zu lösen?
Das glaube ich nicht, sonst hätte sich die honduranische Regierung von Anfang an anders verhalten. Ihr Verhalten lädt nicht gerade dazu ein, an eine wirkliche Aufklärung zu glauben, zumal wenn Politiker und einflussreiche honduranische Familien in den Fall verstrickt sind.
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