Der aufgeklärte König
In der Philharmonie Berlin dirigierte Zubin Mehta Werke von Ravi Shankar und Béla Bartok
Große Abende, die er bestritt, geben Auskunft über ihn, Filme, in denen er redet, singt und Musik aufführt, sodann Wege, die er rund um die Welt gegangen ist und geht - Zubin Metha. Wer ihn einmal erlebt, seinen Interpretationen tief empfindend nachgelauscht hat, vergisst ihn nicht mehr.
Nun war der Dirigent wieder in Berlin zu Gast, bei den Philharmonikern. Er brachte indische Konzertmusik mit und ein bekanntes Opus der klassischen Moderne, das Orchesterkonzert von Béla Bartók, das der Ungar im US-Exil während des Zweiten Weltkriegs komponiert hat. Verarmt, krank, er hatte Leukämie, hatte der einst berühmte und bewunderte Bartók zwei Jahre lang nichts mehr komponiert. Dirigent Sergej Kussewitzki erteilte ihm den Auftrag. Kein Anker der Rettung, nur ein bisschen Zeit, vielleicht etwas besser zu überleben. Bartók starb 1945. Außer Edgar Varèse war, als er in New York beerdigt wurde, kein Musiker an seinem Grab.
Das 40-minütige Werk hat fünf Sätze. Der dritte heißt »Elegia« und deutet durchaus auf Existenzielles. Das Ende mit pausendurchsetzten Piccoloflötentönen, unbegleitet, ist so fahl, dass einen friert. Schallende Clownerien ziehen im vierten Satz vorüber, Klangrohheiten fahren in die Faktur, auch Tänzerisches, darunter ein wogender Walzer. Die Philharmoniker planschen hier ausgelassen wie Fische im Becken des Musikantischen. Der Schlusssatz ist weithin den alten Concerti-grossi-Formen nachgebildet, angefüllt mit kantigen, die acht Bässe, die zwei Harfen, die Blechbläser, den Pauker wild antreibenden, auch schräg polyphonen Abläufen. Hoffnung bewahrt dieser effektvoll mit Blitz-Durakkord schließende Satz.
Mehta dirigierte das Werk auswendig. Am Pult spielt der Achtzigjährige überhaupt nicht den Drillmeister, obwohl er als Schüler in Bombay unter Jesuitenpriestern lernen musste, sondern arbeitet auf Augenhöhe mit den Musikern. Dies verrät die ganze Art, wie der im heutigen Mumbai geborene Dirigent sich bewegt. Gibt er Zeichen, ist er der ruhige Souverän, der aufgeklärte König, der den östlichen wie westlichen Feudalismus weit hinter sich hat.
Mehta dirigierte auch an der Deutschen Oper Berlin. Schon mit 25 durfte er die Wiener und Berliner Philharmoniker leiten. Fest eingeprägt hat sich Olivier Messiaens »Et expecto resurrectionem mortuorum« für Bläser und Schlagzeug mit der Staatskapelle Berlin unter seiner Leitung. Das war vor drei Jahren. Inzwischen ist er Ehrendirigent der Kapelle. Umfänglich ist Mehtas Welt- und Literaturkenntnis, überdurchschnittlich sein musikhistorisches Wissen. Notenbilder sind für den Dirigenten Dokumente. Sie gehören klargelegt, worüber - im Akt des Probierens und der Umsetzung - sich das Orchester selber erzieht, musikalisch lernt.
Bartók ist nur ein Punkt unter vielen. Zubin Mehta besitzt seit je eine gehörige Neigung zur Neuen Musik und die Lust, dieselbe mit der gleichen Verve zu adressieren wie das widerspruchsvoll Davorliegende. Ravi Shankars viersätziges Konzert für Sitar und Orchester Nr. 2 »Raga-Mala« eröffnete den Abend. Die Inderin Anoushka Shankar, Ravis Tochter, spielte über eine Stunde hinweg den Solopart. Wenn man das überhaupt so nennen kann. Solopart ist europäisch, und indische Musik kennt den Begriff nicht. Die sogenannten Ragas bilden ihren Kern. Die stecken voller Klanggeheimnisse und vielfältiger außermusikalischer Codes - der Natur, der Religion, dem Leben entlehnt.
Dass Zubin Mehta dem Indischen besonders geneigt ist, liegt auf der Hand. Mit Ravi Shankar (1920 - 2012) war er befreundet. Das Sitar-Konzert mischt Indisches mit Europäischem. Die Strukturen sind meist einfach, Sitar-Vorgaben imitierende Topoi sind aufgefädelt wie die Perlen der Kette. Die prächtig gekleidete Solistin auf ihrem Perserteppich glänzte durch ihr singendes, flirrendes, reich verziertes Spiel.
So fremde wie bekannte Musik im 60-Minuten-Zirkel umzusetzen, will verstanden sein. An sich braucht man dafür Jahre. Mehta schien zufrieden mit den Philharmonikern.
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