Widerstand gegen Feminicido

Bolivianische Aktivistinnen wollen Morde an Frauen und Kultur der Gewalt nicht hinnehmen

  • Knut Henkel, La Paz
  • Lesedauer: 3 Min.

Den Eingangsbereich der Stiftung »Solón« ziert die Parole »Ni Una Más« genauso wie das Fenster einer gegenüberliegenden Wohnung. Sopocachi heißt das zentral gelegene alternative Viertel von La Paz und dort machen Nichtregierungsorganisationen und Privatmenschen gegen die Frauenmorde genauso mobil wie in Cochabamba und anderen großen Städten Boliviens.

»Wir erleben einen weitgehend unbeachteten Feminicido. Alle drei Tage stirbt in Bolivien eine Frau. Das ist unser Alltag«, mahnt die Frauenrechtlerin Elizabeth Peredo. Als Feminicido wird der Mord an einer Frau aufgrund ihres Geschlechts bezeichnet; Bolivien und Guatemala führen die Statistiken in Lateinamerika an.

Elizabeth Paredo leitet die Stiftung Solón, ist Psychologin und arbeitet seit Langem zu Frauenrechten in Bolivien. Vor gut zwei Jahren, bei den letzten Präsidentschaftswahlen, hat sie mit anderen Frauen die Kampagne »Machistas fuera de la lista« (Machos raus aus den Wahllisten) initiiert. Dabei ging es darum, sich besonders patriarchal und sexistisch gebärdende Politiker zu outen. So wie den Bürgermeister von Santa Cruz, Percy Fernández, der vor laufender Kamera einer Frau neben ihm ans Gesäß griff und lachte. »So etwas wird akzeptiert. Die Regierung interveniert nicht«, ärgert sich Peredo.

Die Psychologin macht die patriarchalen Strukturen dafür verantwortlich, dass Frauen in Bolivien diskriminiert und als Sexualobjekt angesehen werden - trotz vieler Fortschritte für Frauen unter der Regierung von Evo Morales. Dazu gehört auch das im März 2014 verabschiedete Gesetz, das Frauen ein Leben frei von Gewalt garantieren soll. Haftstrafen bis zu dreißig Jahren sind für Frauenmorde und Vergewaltigung seitdem möglich und auch erstmals verhängt worden. Doch Strafe ist nur die eine Seite der Medaille. »Mehr Prävention, mehr Sozialarbeit, mehr Forschung und mehr Haltung sind nötig«, fordert Peredo. Sie appelliert an die Regierung von Präsident Morales, mit Beispiel voranzugehen und auch bei Polizei und Armee zu ermitteln. Erst vor wenigen Wochen gab es in Cochabamba einen Mord in der Kaserne. Ein Soldat hatte seine Ex-Freundin mit der Dienstwaffe erschossen. Nicht der erste Fall in einer Kaserne, und in der Vergangenheit ist es immer wieder vorgekommen, dass Morde in Ausbildungsstätten von Armee und Polizei nicht korrekt aufgeklärt wurden. So zum Beispiel der Tod einer Kadettin im November 2013 - ebenfalls in Cochabamba.

Zwar gibt es seit Verabschiedung des Gesetzes 348 Fortschritte bei den Ermittlungen, aber Frauenrechtlerinnen wie María Galindo vom anarcho-feministischen Kollektiv »Mujeres Creando« kritisieren, dass arme Frauen sich den Zugang zur Justiz nicht leisten können, weil sie den nötigen Anwalt nicht bezahlen können. Ein Grund, weshalb am Haus des Kollektivs ein Graffito mit dem Titel »Frauen auf der Suche nach Gerechtigkeit« prangt. In dem Haus finden Frauen Unterschlupf, wenn ihr Mann, Ex-Mann oder Ex-Geliebter gewalttätig wird und dort treffen sich Frauen zum Diskutieren über die patriarchale Gesellschaft. Diese ist nicht nur für Frauen und junge Mädchen gefährlich, wie hohe Vergewaltigungszahlen und Teenagerschwangerschaften zeigen, sondern auch für Kinder. Es gab Fälle, dass Vierjährige vergewaltigt und erdrosselt wurden.

»Die Zahl der Sexualmorde an Kindern und Jugendlichen ist alarmierend und es hat in den vergangenen zwei, drei Jahren zahlreiche Protestmärsche gegeben - hier in Cochabamba, aber auch in La Paz«, so Elizabeth Patiño, Kinderrechtsexpertin die lange für terre des hommes gearbeitet hat. Sie kritisiert die fehlende Ermittlungsexpertise der Beamten. Polizei und die Behörden gingen nicht immer planvoll vor und ein weiteres Problem sei, dass qualifizierte Forensiker in Bolivien rar sind. Darauf machten die Märsche anlässlich des Weltfrauentages in La Paz, Cochabamba und den anderen großen Städten aufmerksam.

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