Wenn mitten in der Nacht der Nazi-Mob bei dir klingelt

In Burg bei Magdeburg werden linke Aktivisten zur Zielscheibe rechter Gewalt

  • Mia Jarad
  • Lesedauer: 7 Min.

In den frühen Morgenstunden des 12. Februars detoniert vor dem Eingangstor eines Wohnhauses in der Oberstraße eine Kugelbombe. Als der selbstgebaute Sprengsatz explodiert, splittern Fensterscheiben, das Tor wird beschädigt und eine darüber angebrachte Überwachungskamera zerstört. Die Täter machen sich in der Dunkelheit davon. Sie wurden bisher nicht ermittelt. In besagtem Haus im Zentrum der Kleinstadt Burg leben in mehreren Wohnungen auch linke Aktivisten. Es ist nicht der erste Angriff auf das Haus, in dem sich auch regelmäßig die lokale Antifa trifft. Fast jedes Wochenende kommen Neonazis in die Oberstraße, bewerfen das Haus mit Böllern und zerstören gezielt davor geparkte Autos. Für die Wochenenden hat die Polizei deshalb ihr Bereitschaftspersonal aufgestockt.

Besonders nachts kämen Nazis immer wieder zu den Wohnhäusern der Aktivisten, um sie zu bedrohen und anzugreifen, berichtet die Autonome Antifa Burg (AAB). Auch Martin Burgdorf vom Miteinander e.V. weiß von massiven Angriffen gegen linke Aktivisten. »In Burg herrscht ein hohes Maß an Gewalt, teilweise mit dramatische Folgen«. Martin S., der sich seit seinem 14. Lebensjahr gegen Neonazis engagiert und Mitglied der AAB ist, weiß, wovon er spricht. Er ist fast täglich mit Einschüchterungsversuchen und Angriffen der Rechten konfrontiert. »Ich wohne genau im Brennpunkt«, sagt er und zeichnet eine kleine Straßenkarte auf ein Blatt Papier. Ein X markiert seinen Wohnort, in unmittelbarer Nähe malt er mehrere Kreise - dort wohnen einige der Burger Neonazis. »Es gab mehrere Vorfälle, bei denen mir nachts acht oder neun Nazis zu Hause auflauerten«, erzählt Martin. »Meistens waren wir denen aber einen Schritt voraus und wussten, was sie planten.« Nicht nur einmal haben Nazis versucht, in seine Wohnung einzubrechen und die Tür einzutreten.

Rechtsextreme Übergriffe in Burg seit 2016

1. Januar 2016:
Kurz nach Mitternacht wird eine bosnische Familie auf der Straße von einem Mann rassistisch angesprochen. Als sich die Betroffenen verbal wehren, schlägt der Mann einem 22-jährigen Bosnier eine Bierflasche auf den Kopf. Der Betroffene musste mit stark blutender Wunde im Krankenhaus behandelt werden. Gegen den polizeibekannten 35-jährigen Täter wird wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt.

26. Januar 2016:
Einem syrischen Ehepaar und ihrem erwachsenen Sohn kommt in der Bahnhofstraße ein augenscheinlich alkoholisierter Unbekannter entgegen. Er skandiert Naziparolen wie »Sieg Heil« und »Ausländer raus« und schlägt und tritt auf die Familie ein. Die Polizei kann in der Nähe des Tatortes einen polizeibekannten 29-Jährigen als dringend Tatverdächtigen feststellen. Der Familienvater muss mehrere Tage stationär im Krankenhaus behandelt werden.

20. März 2016:
Als ein 20-Jähriger abends auf dem elterlichen Hof ankommt, fliegt ein leuchtender Gegenstand auf das Gelände. Als er ihn in eine Wassertonne schmeißen will, explodiert der Böller in seiner Hand und verletzt ihn so schwer, dass zwei Glieder des linken Zeigefingers amputiert werden müssen. Bereits vor diesem Angriff gab es aufgrund seines Engagements gegen Rechts Todesdrohungen gegen den Betroffenen. Die Staatsanwaltschaft Stendal stellt das Verfahren wegen Körperverletzung ein, weil kein Tatverdächtiger ermittelt werden konnte.

01. April 2016:
Ein 23-jähriger Alternativer wird tagsüber von einem Mann bedroht angespuckt. Nach der Beschuldigung, eine rechte Demo fotografiert zu haben, schlägt der dem 23-Jährigen mehrmals mit den Fäusten auf den Oberkörper und bricht dem Opfer mehre Rippen.

19. Juni 2016:
Gegen 2.30 Uhr dringen mehrere Personen gewaltsam in die Wohnung eines 27-jährigen Syrers ein, darunter ein Rechtsextremer, der im selben Wohnblock lebt. Es gelingt dem Opfer, die Eindringlinge und die Tür zuzudrücken. Die Täter flüchten in einen Nebeneingang, wo sie von Polizeibeamten festgestellt und Platzverweise ausgesprochen werden. Bereits vor dem Vorfall war der Betroffene mehrfach von Mitgliedern der Gruppe rassistisch beleidigt und mit der Halsabschneidergeste bedroht worden.

19. Juli 2016:
Gegen 19 Uhr werden zwei 15-Jährige in der Fußgängerzone von einem unbekannten Erwachsenen rassistisch beleidigt. Der etwa 30-jährige Angreifer schlägt einem der Jungen unvermittelt mit der Faust ins Gesicht und flüchtet. Der Betroffene erleidet ein Hämatom.

18. Oktober 2016:
Gegen 11 Uhr vormittags schießt ein Jugendlicher mit einer Soft-Air-Pistole aus dem Fenster eines Mehrfamilienhauses und trifft eine 47-jährige Syrerin. Die Polizei geht von einer politisch rechten Motivation aus.

23. Januar 2017:
Gegen 21 Uhr wird ein 17-jähriger Afghane von drei Unbekannten unvermittelt geschlagen. Der 17-Jährige geht zu Boden und wird dort weiter getreten. Bevor die Angreifer verschwinden rufen sie »Verpiss dich Ausländer«. Der Betroffene muss im Krankenhaus behandelt werden. Der polizeiliche Staatsschutz sucht nach Zeugen.

Mobile Beratung für Opfer rechter Gewalt/mjo
www.mobile-opferberatung.de

Wie es ihm damit gehe? »Ich versuche, mich nicht einschüchtern zu lassen«, antwortet der 23-Jährige. »Es bestärkt mich auch in der Politik, die ich mache.« Trotzdem wünscht er sich manchmal, dass es anders wäre. »Es ist schwer zur Ruhe zu kommen, wenn man ständig in der Gefahr lebt, dass jederzeit wieder etwas passieren kann.« Schützen kann den 23-Jährigen momentan nur der Zusammenhalt der Aktivisten und ihre Entschlossenheit, sich den Neonazis immer wieder entgegenzustellen. Nur in Ausnahmesituationen schaltet Martin S. die Polizei ein. So zum Beispiel, als mehrere Nazis ihn und seinen Freund vor seiner Wohnung mit Flaschen bewarfen und die beiden in seine Wohnung fliehen mussten. Die Polizei kam rechtzeitig, um die Personalien der Täter festzustellen. Ein Verfahren wurde laut Martin S. jedoch nicht eingeleitet.

Auch das Stadtbild ist von dem Konflikt geprägt: An Hauswänden und Haltestellen finden sich Graffitis oder Aufkleber der einen oder anderen Gruppe, meist bereits vom politischen Gegner übersprüht und überklebt. »Burg bleibt rot« war in großen Buchstaben am Bahnhof zu lesen, bis Rechte den Schriftzug mit weißer Farbe überstrichen. Hakenkreuzsymbole auf den Fensterscheiben eines arabischen Lebensmittelladens wurden in einer Aktion der Linken entfernt.

Burg hat eine lange Vorgeschichte gewaltbereiter Neonazis, die teilweise aus der Hooliganszene kommen und auch überregional aktiv sind. Laut David Begrich, Mitarbeiter der Arbeitsstelle Rechtsextremismus des Miteinander e.V., geht die Szene in Burg dabei besonders brutal vor und machte die Stadt in der Vergangenheit zum Schauplatz schwerer rassistischer Straftaten. Doch auch innerhalb der Bevölkerung existiert Alltagsrassismus besonders gegenüber Geflüchteten und Muslimen.

Etwa 30 aktive Neonazis zählt die AAB in Burg. Einer von ihnen stammt aus Dessau-Roßlau, eine Stadt in Sachsen-Anhalt, in der eine gut organisierte Neonaziszene aktiv ist. Dort nahm er regelmäßig an rechtsextremen Aufmärschen teil, bedrohte dort des Öfteren Journalisten und Gegendemonstranten. Inzwischen ist er mit einer Burgerin liiert, einer Tochter einer ansässigen Großfamilie, die seit mehreren Generationen im rechtsextremen Spektrum aktiv ist. Die Namen sind bekannt. Auf ihrem Facebook-Profil gibt es ein Bild, auf dem sie eine Tasche mit der Aufschrift »I love NS« (»Ich liebe Nationalsozialismus«) trägt. Ihre Mutter, das Oberhaupt der Familie, ist unter anderem Mitglied der Facebook-Gruppe »Das Deutsche Reich muss Deutsch bleiben«. Mitglieder der Familie hetzen in sozialen Medien öffentlich gegen Geflüchtete und Linke und beteiligen sich regelmäßig an rechten Aufmärschen.

Die Burger Naziszene besteht fast ausschließlich aus Personen aus dem Umfeld besagter Familie. Abgesehen von der Mutter sind die meisten zwischen 19 und 35 Jahre alt, viele von ihnen haben bereits selbst Kinder. Die meisten Angehörigen leben in derselben Straße und stehen in engem Kontakt. Besonders die Wohnung der Mutter dient als regelmäßiger Treffpunkt.

Die 24 000-Einwohner-Stadt Burg liegt etwa 25 Kilometer nordöstlich der Landeshauptstadt Magdeburg. Sie ist der größte Bundeswehrstandort in Sachsen-Anhalt - 1500 Soldaten und Zivilbeschäftigte sind in Burg stationiert. Von Touristen kaum beachtet liegt sie mitten im dünn besiedelten Jerichower Land. Viele pendeln zum Arbeiten ins nah gelegene Magdeburg. Die Arbeitslosenquote liegt in Burg mit 8,4 Prozent sogar unter dem Landesdurchschnitt. 2018 soll dort zum ersten Mal die Landesgartenschau stattfinden. In der Hoffnung, damit endlich den Tourismus nach Burg zu bringen, investiert die Stadt insgesamt 20 Millionen Euro in die Gartenschau.

Bei der Landtagswahl im vergangenen Jahr hatte der CDU Politiker Markus Kurze Mühe, sein Direktmandat gegen den Kandidaten der AfD zu verteidigen. Inzwischen hält die rechtspopulistische Partei auch Veranstaltungen in der Stadthalle ab. Die 30 bis 50 Besucher stammen größtenteils aus dem Umfeld der Neonazi-Familie W.

Bis vor kurzem lebte auch der aktive Neonazi Ingo Zimmermann in Burg, der 2014 Kreisverbandsvorsitzende der rechtsextremen Partei »Die Rechte« wurde. Inzwischen hat Zimmermann sogar den Landesvorsitz geholt und ist aus Burg weggezogen. Der Neonazi aus Dessau-Roßlau war es, der neuen Schwung in die Burger Szene brachte. Seit seiner Ankunft haben die Übergriffe auf Linke und Migranten massiv zugenommen. Auch die Anwesenheit von Reporterinnen in der Nähe des Wohnblocks, in dem Mitglieder der Naziszene leben, bleibt nicht lange unentdeckt. Schon nach wenigen Minuten fährt ein Einschüchterungstrupp in einem Auto vor, um die Journalistinnen zu bedrohen. Jemand aus der gut vernetzten Szene hatte den Rädelsführer sofort über das Auftauchen der Presse informiert. Sie ist bei den Nazis in Burg unerwünscht.

Kurz darauf im Verwaltungskomplex der Stadt kann der Burger Stadtsprecher Bernhard Ruth sich den Vorfall nur schwer vorstellen. Auch der Name des prominenten Neonazis sei ihm unbekannt. Es gäbe zwar eine rechte Szene in Burg, Attacken auf Geflüchtete habe es aber nicht »zu Hauf« gegeben, sagt Ruth. Trotzdem gibt es einen »Runden Tisch gegen Rechts« bei dem sich unter anderem Politiker und Kirchenmitglieder engagieren.

Laut zuständigem Polizeidirektor Thomas Kriebitzsch haben die rechten Straftaten in Burg vergangenes Jahr deutlich zugenommen. Genaue Zahlen würden erst Ende März vorliegen. Die Mobile Opferberatung geht jedoch davon aus, dass es in diesem Bereich eine hohe Dunkelziffer gibt, da Opfer rechter Übergriffe diese selten zur Anzeige bringen. Auch Betroffene aus der Antifa, wie Martin S., stellen nur selten Anzeigen. Sie hätten das Gefühl, sich nicht auf die Polizei verlassen zu können. »Die sind auf dem rechten Auge blind«, meint S. Kriebitzsch bestreitet den Vorwurf im nd-Gespräch. Er sei völlig »aus der Luft gegriffen«. In Sachsen-Anhalt wurden laut Landesverfassungsschutz 2015 etwa 1400 aktive Rechtsextreme und 1749 rechte Straftaten polizeilich registriert.

Die Antifa bildet in Burg einen starken Gegenpol zur rechtsextremen Szene. Sogar rechten Gruppen aus anderen Städten ist die AAB ein Dorn im Auge. Obwohl zahlenmäßig unterlegen, leistet die Gruppe in Burg unermüdlich politische Arbeit. Sie stellt Infostände auf Stadtveranstaltungen, organisiert Skatecontests, Konzerte und setzt sich für öffentliche Freiräume ein. Ihr Traum ist es, ein soziales Zentrum für Freizeitgestaltung und politische Veranstaltungen zu gründen. Vor allem aber stellen sie sich täglich entschlossen den Angriffen der Neonazis entgegen.

Mit ihrer Arbeit widersetzen die Aktivisten sich nicht nur den Ansichten der rechten Szene, sondern werden auch ihr wichtigstes Feindbild. Zwei Neonaziaufmärsche gegen Geflüchtete und Asylpolitik mit jeweils etwas 150 Teilnehmern fanden 2016 in Burg statt. Durch die ständige Präsenz der Antifa richtete sich der dritte Aufmarsch der Rechtsextremen wieder ausschließlich gegen den »linken Terror«. »Wir haben es zumindest geschafft, den Märschen den flüchtlingsfeindlichen Aspekt zu nehmen. Jetzt stehen wieder wir als die Bösen da«, sagt Martin S. »Aber uns ist es lieber, wenn sie gegen uns hetzen, als gegen Geflüchtete.« Der Grund, weshalb vor allem die Antifaschisten im Fokus der Burger Neonazis stehen, ist nicht, weil die rechte Szene hier weniger rassistisch, muslimfeindlich oder radikal in ihrer Ideologie ist als anderswo. In Burg haben die Neonazis besonders starke Gegner.

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