Einer sitzt im Kuckucksnest

Die TV-Serie »Legion« ist ein psychedelischer Parforceritt in die Welt der Mutanten

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 3 Min.

Der junge Mann David Haller (Dan Stevens) sieht sich zwei gleichermaßen beunruhigenden Optionen gegenüber: Entweder er ist hochgradig schizophren und wird von schrecklichen Halluzinationen und quälenden Stimmen heimgesucht, die seinem zerrütteten Unterbewusstsein entspringen. Oder aber er ist »gesund«, und die verstörenden Visionen und Botschaften, die er empfängt, sind real und Ausdruck seiner extrem seltenen Begabung.

Das Spezielle an der TV-Serie »Legion« ist (unter vielen anderen Aspekten), dass der Zuschauer auf dem gleichen Wissensstand ist wie David, sich durch die gleiche kunstvoll inszenierte Verwirrung kämpfen muss. Dieser mühsame Erkenntnisprozess ist verpackt in ein visuelles Feuerwerk an psychedelischen Effekten, schreienden Farben und schrillen Kostümen. Die komplex-durchgeknallte Handlung ist gesäumt von gruseligen Sanatorien, eiskalten Forschern, mysteriösen Häschern, geheimen Regierungsbehörden, rätselhaften und angeblich freundlich gesinnten Fremden, weisen Psychiatriepatienten und: Mutanten.

»Legion«-Schöpfer Noah Hawley konnte schon mit seiner TV-Serien-Version des blutigen und skurrilen »Fargo«-Kosmos der Coen-Brüder begeistern, ja Maßstäbe setzen. Mit dieser Serie nun injiziert er dem Mutanten-X-Men-Genre einerseits Hardcore-Realismus durch einen gehörigen und verstörenden Psycho-Drama-Anteil. Andererseits katapultiert er es endgültig aus der Erdumlaufbahn, indem er den äußeren Action-Schauwerten noch die inneren, nicht weniger furiosen Psychokämpfe beimischt.

»Legion« ist inspiriert von Marvels »X-Men«-Comics und lebt von der Frage, ob jener David Haller vielleicht mehr ist als nur ein Mensch. Als Kind als schizophren diagnostiziert, fristete er sein Dasein über Jahre hinweg in zahllosen psychiatrischen Einrichtungen. Auch in der Serien-Gegenwart befindet sich der Anfang 30-Jährige wieder in einer geschlossenen Anstalt. Dort versinkt er im Trott: Essen, Therapie, Medikamente, Schlaf. Den Rest der Zeit verbringt er mit Lenny (Aubrey Plaza), die sich ihren Optimismus trotz massiver Alkohol- und Drogensucht nicht nehmen lässt.

Davids Routine wird durch die Ankunft der neuen und schönen Mitpatientin Syd Barrett (Rachel Keller) unterbrochen. Beide fühlen sich auf unerklärliche Weise zueinander hingezogen. Nach einem verblüffenden Erlebnis mit seinem neuen Schwarm beginnt David, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass die Stimmen und die Visionen, die er wahrnimmt, keine Einbildung sind.

Die Serie steht und fällt mit dem Hauptdarsteller. Dan Stevens ist eine gute Wahl, weil er es streckenweise überzeugend schafft, sein Gesicht als Spiegel seines zerrissenen Inneren zu nutzen - auch wenn sich das manchmal an der Grenze zum komödiantischen Grimassieren bewegt. Auch das ungläubige Staunen angesichts der (übernatürlichen?) Vorgänge um seine Person spielt er ebenso gut wie das instinktive Misstrauen gegenüber all den »Helfern«, die plötzlich an seinem Seelenheil interessiert sind. Um ihn als Zentrum bildet sich ein Wirbel aus falschen Fährten, Halluzinationen und echten Gefahren.

Verfügbar bei Fox

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