Niederländer wählen neues Parlament

Die Rechtsliberalen hoffen mit der Strategie »PVV light« auf einen Wahlsieg über den Islamfeind Geert Wilders

  • Steffi Weber, Amsterdam
  • Lesedauer: 4 Min.

Es sind laut der Tageszeitung »Algemeen Dagblad« die spannendsten Wahlen seit dem Zweiten Weltkrieg: Die Niederländer wählen an diesem Mittwoch ein neues Parlament. Mehr als die Hälfte der Wähler ist noch unentschlossen. Laut Erhebungen haben mindesten vier Parteien Chancen, als Sieger aus den Wahlen hervorzugehen. So viele wie noch nie zuvor. Der Streit mit der Türkei dürfte dabei vor allem der regierenden rechtsliberalen VVD von Ministerpräsident Mark Rutte zum Vorteil gereichen.

Rutte erntete im Streit um die verhinderten Redeauftritte zweier türkischer Minister am Wochenende von den Spitzenkandidaten fast aller Parteien Lob für sein standfestes Auftreten. Ob er anders reagiert hätte, wenn er sich nicht in der heißen Phase des Wahlkampfes befunden hätte, sei dahingestellt. Fest steht aber, dass der Krach ihm nicht ungelegen kommt. Der diplomatische Streit bietet dem Ministerpräsidenten, der von Kritikern wegen seiner Kritikresistenz »Teflon-Premier« genannt wird, die Chance, hart aufzutreten und so dem Rechtspopulisten Geert Wilders und seiner PVV den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Genau das versucht Rutte schon eine ganze Weile. Er will seine VVD als realistische Alternative zur PVV etablieren, als eine Art PVV-light. So ließ er einen offenen Brief in den größten Tageszeitungen schalten, der Migranten aufforderte: »Benehmt euch normal oder geht.« Dank dem Streit mit Erdogan ist Rutte nun gelungen, was er von Anfang an beabsichtigt hatte: den Wahlkampf auf ein Duell zwischen ihm und Wilders hinauslaufen lassen.

Die beiden Rivalen standen sich am Montagabend erstmals in einer Fernsehdebatte gegenüber. Viele Wähler hatten sich wochenlang darauf gefreut: Eine halbe Stunde lang debattierten Rutte und Wilders über Wirtschaft, Gesundheit und die niederländische Identität, drei zentrale Themen des Wahlkampfes. Der Schlagabtausch war scharf, zu neuen Erkenntnissen hat das Duell aber nicht geführt.

Wilders forderte gleich zu Beginn, man solle den türkischen Botschafter des Landes verweisen. »Sehen sie Herr Wilders«, meinte Rutte daraufhin, »ein Land zu regieren ist doch etwas anderes, als auf dem Sofa zu sitzen und zu twittern. Beim Regieren muss man vernünftig sein, Ihre Lösung wäre sehr unvernünftig.« Rutte zeigte sich als Staatsmann, der im Gegensatz zu Wilders gerne Verantwortung übernimmt. Wilders hingegen präsentierte sich als Beschützer der niederländischen Identität gegen den Islam. Rutte bezeichnete er als unglaubwürdigen Lügner, der seine Versprechen bricht.

Wilders’ lange Zeit die Umfragen anführende PVV steht im Moment bei ungefähr 14 Prozent und musste die VVD an sich vorbeiziehen lassen. Diese liegt bei 17 Prozent. Niederländische Regierungen bestehen aber immer aus Koalitionen, benötigt werden 50 Prozent, um regieren zu können. Eine Partei alleine schafft das nie. Alle großen- und mittelgroßen Parteien haben Wilders aber im Vorfeld als möglichen Regierungspartner ausgeschlossen. In der TV-Debatte wiederholte Rutte sein Versprechen, dass er »niemals« mit Wilders’ Partei koalieren werde. In seiner ersten Regierungszeit hatte er sich noch vom Islamfeind Wilders tolerieren lassen. Der im Dezember wegen Diskriminierung von Marokkanern verurteilte Wilders wird daher in der Opposition bleiben, selbst wenn auf seine PVV die meisten Stimmen entfallen.

Auszuschließen ist das nicht. VVD und PVV liegen in den Umfragen vorne, gefolgt von den Christendemokraten CDA, der liberalen D66 und der grünen Partei GroenLinks. Deren Parteichef Jesse Klaver hat in den letzten Wochen viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen und den Spitznamen »Jessias« bekommen. Aus gutem Grund: Unter der Führung des 30-Jährigen ist die Partei, momentan mit vier Sitzen im Parlament, so groß geworden wie nie zuvor. Laut Erhebungen kann die Partei mit elf Prozent, also mit 16 bis 18 Sitzen rechnen.

Die Kleinen werden größer, die Großen werden kleiner, die niederländische Parteilandschaft ist zersplitterter denn je. 14 Parteien hatten am Dienstagabend in der großen Enddebatte die letzte Chance, die Wähler zu überzeugen. In Den Haag bereitet man sich auf einen langen Regierungsbildungsprozess nach der Wahl vor. Die sozialistische SP, zuletzt bei zehn Prozent in den Umfragen, hat die Zusammenarbeit nicht nur mit der PVV, sondern auch mit der VVD ausgeschlossen. Das macht die Sache nicht leichter.

Spannende Wahlen also, die laut Rutte zudem ein Zeichen setzen könnten für die kommenden Wahlen in Europa. Er spiele am Mittwoch das Viertelfinale gegen die Populisten, sagte Rutte. Das Halbfinale finde bald in Frankreich statt. Und das Finale steige dann im Herbst in Deutschland.

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