Probleme mit dem Nachwuchs

Thüringens Jugendämter müssen immer öfter eingreifen

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Jugendämter im Freistaat Thüringen haben zuletzt weit mehr Kinder und Jugendliche in Obhut genommen als in der Vergangenheit. Gab es im Jahr 2014 im gesamten Freistaat noch 1226 Fälle, in denen der Staat junge Menschen aufgrund einer Notsituation in einem Heim aufnahm oder etwa bei einer Gastfamilie aufnehmen ließ, waren es im Folgejahr 2182, wie aus aktuellen Daten des Landesamtes für Statistik hervorgeht. Das bedeutet eine Steigerung der Inobhutnahmen um fast 80 Prozent innerhalb eines Jahres.

Nach Angaben eines Sprecher des Thüringer Bildungsministeriums - das auch für das Landesjugendamt und damit die oberste Jugendbehörde im Freistaat zuständig ist - ist dieser extreme Anstieg der Fallzahlen von 2014 auf das Folgejahr vor allem auf den großen Zustrom junger Flüchtlinge im Laufe des Jahres 2015 zurückzuführen.

«Im Zuge der Aufnahme vieler unbegleiteter minderjähriger Ausländer und Ausländerinnen im Jahr 2015 hat sich die Jugendhilfelandschaft in Thüringen dieser Herausforderung gestellt und viele professionelle Unterbringungs- und Betreuungsplätze in allen Landkreisen und Städten geschaffen», sagt er.

Allerdings zeigen die Daten der Statistiker in der Langfristanalyse auch, dass zwar der sprunghafte Anstieg von 2014 auf 2015 mit der Flüchtlingsbewegung zusammen hängen mag - das aber auch jenseits dessen immer mehr Eltern offensichtlich Probleme mit ihrem Nachwuchs haben und die Jugendämter deshalb immer häufiger Kindern in Notsituationen helfen müssen.

Erst am Montag war ein Fall aus Weimar bekannt geworden, bei dem eine betrunkene Frau ihr völlig verwahrlostes Kind alleine durch die Stadt laufen ließ. Auf dem Weg durch Weimar, teilte die Polizei mit, habe das Kind wahllos Passanten angesprochen und versucht Fahrzeuge anzuhalten - um die Fahrer der Autos zu bitten, sie zu ihrem Vater in einen anderen Teil der Stadt zu fahren. Auch in diesem Fall schaltete die Polizei das Jugendamt ein. Gegen die Mutter wird inzwischen auch wegen des Verdachts ermittelt, sie könnte ihre Fürsorgepflicht verletzt haben.

So gab es den Angaben der Statistiker nach 1995 in Thüringen noch insgesamt 400 Fälle, in denen minderjährige Jungen und Mädchen von den Jugendämtern in Obhut genommen worden sind. Im Jahr 2000 waren es mit 782 Fällen schon bereits fast doppelt so viele gewesen. Acht Jahre später stieg diese Zahl dann erstmals, dafür aber sehr deutlich über die Marke von 1000 derartigen Vorkommnissen auf 1160. Im Jahr 2014 gab es in Thüringen dann eben 1226 solcher Inobhutnahmen.

Vielsagend in diesem Zusammenhang: Während Schul- und Alltagssorgen oder Beziehungsprobleme als Gründe für solche staatlichen Maßnahmen seit Jahren statistisch rückläufig sind, steigt die Zahl der Fälle, in denen der Grund für die Inobhutnahme «Überforderung der Eltern» lautet. 2010 waren nach Angaben des Sprechers des Bildungsministeriums 360 derartige Fälle im Land zu beklagen gewesen, 2013 waren es schon 538 und 2015 dann 568.

Zu den Gründen für diesen langfristigen Anstieg der nötigen Inobhutnahmen aufgrund der Überforderung von Eltern wollte der Sprecher des Bildungsministeriums nicht spekulieren. «Die dahinter stehenden Ursachen sind im jeweiligen Einzelfall wie auch in der Gesamtbetrachtung komplex. »Insofern gibt es auch keine einfachen Antworten.« Allerdings sei jeder dieser Fälle einer zu viel.

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