Geschmiert vom Atlantik bis zum Pazifik

Skandal um den brasilianischen Baukonzern Odebrecht erschüttert Mittel- und Südamerika

  • Jürgen Vogt, Buenos Aires
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Auswirkungen des Skandals um den Baukonzern Odebrecht, dessen Name auf deutsche Einwanderer nach Brasilien zurückgeht, sind noch immer nicht absehbar. Odebrecht baute alles, was groß und riesig ist, wie Autobahnen, Staudämme, Sportstätten, Brücken, Pipelines und Bahnhöfe nicht nur in Mittel- und Südamerika sondern auch in Afrika.

Bei den Auftragsvergaben hatte Odebrecht kräftig und systematisch nachgeholfen. Dafür richtete das Unternehmen eine eigene Abteilung ein. Von 2001 bis 2015 soll Odebrecht rund 790 Millionen US-Dollar Schmiergelder an Politiker und deren Strohmänner in mindestens zehn lateinamerikanischen Ländern verteilt haben. Diese Summe nannte ein New Yorker Gericht, das gegen den Bauriesen ermittelt. Seit Juni 2015 sitzt Firmeninhaber Marcelo Odebrecht hinter Gittern. Im März 2016 wurde er von der brasilianischen Justiz zu 19 Jahren und vier Monaten Gefängnis verurteilt.

Mit Spannung wird nun die Veröffentlichung der Aussagen von 77 Odebrecht-Managern erwartet. Sie machten von der Kronzeugenregelung, sprich Strafmilderung gegen Geständnisse, Gebrauch. 1064 Seiten umfassen ihre Aussagen. Darin werden 256 Rechtsverstöße beschrieben und die Schmiergeldempfänger in Brasilien und elf weiteren Ländern genannt. Brasiliens Oberste Richter haben sie als zulässig anerkannt, jetzt liegen sie bei der Staatsanwaltschaft. Ob sie öffentlich gemacht werden, ist noch offen. Sollte dies geschehen, wäre dies ein wahres Who-is-Who der Korruption.

Opfer der Erschütterungen ist auch Perus Ex-Präsident Alejandro Toledo, der von 2001 bis 2006 regierte und nun über Interpol zur Fahndung ausgeschrieben ist. Für dessen Ergreifung hat Perus Regierung 30 000 US-Dollar Belohnung ausgesetzt. Über einen Strohmann soll Toledo 20 Millionen US-Dollar kassiert haben, damit Odebrecht den Zuschlag für den Bau einer Verbindungsstraße zwischen Atlantik und Pazifik erhielt.

Die illegalen Machenschaften in Peru erstrecken sich jedoch auch über die Amtszeiten der Präsidenten Alberto Fujimori und seiner Nachfolger Alan García und Ollanta Humala. Perus amtierender Präsident Pedro Pablo Kuczynski war unter Toledo Wirtschafts- und Finanzminister, später dessen Premierminister. Dass er von alledem nichts gewusst haben soll, ist mehr als unwahrscheinlich. Kein Wunder also, das auch hier Anfang März erste Ermittlungen gegen Kuczynski wegen angeblicher »verdächtiger Vorgange« eingeleitet worden sind.

Auch Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos gerät zunehmend unter Druck. Anfang März gab der dortige Generalstaatsanwalt bekannt, dass Odebrecht über den Umweg über andere Firmen Santos’ Wahlkampf 2014 mit Spendengeldern mutmaßlich unterstützt habe. Die Gelder sollen in Zusammenhang mit einem Autobahnbau geflossen sein. In Kolumbien sind Wahlkampfspenden durch Unternehmen verboten, ausgenommen sind lediglich Spenden von Banken und Kreditinstituten.

Kurzzeitig geriet sogar die ehemalige Guerillaorganisation FARC in die Schlagzeilen. So berichtete das brasilianische Magazin »Veja« Ende Februar, dass Odebrecht über 20 Jahre Hunderttausende US-Dollar an Schutzgeldzahlungen an die Rebellen geleistet haben soll, damit diese im Gegenzug keine Anschlage auf Baustellen und -projekte verüben. In diesem Fall verneinte Odebrecht, Zahlungen an die FARC geleistet zu haben.

Nach Angaben des US-Justizministeriums sollen mindestens rund 98 Millionen US-Dollar nach Venezuela geflossen sein. Das steht damit auf dem zweiten Platz der Odebrechtschen Schmiergeldrangliste. Unter dem damaligen Präsidenten Hugo Chávez wurde der Ölstaat zum wichtigsten Geschäftspartner außerhalb Brasiliens. Weitere 92 Millionen gingen in die Dominikanische Republik. 59 nach Panama, 35 nach Argentinien, 33,5 nach Ecuador, 29 nach Peru, 18 nach Guatemala, 11 nach Kolumbien und 10,5 Millionen nach Mexiko. Der Löwenanteil von 349 Millionen US-Dollar wurde in Brasilien verteilt.

Große und kleine Schmiergelder gehören in Mittel- und Südamerika zum Alltag. In Argentinien zeigen sich denn auch Schwierigkeiten, dies gesetzlich zu bekämpfen. Was landläufig als Kronzeugenregelung tituliert wird und in Brasilien gesetzlich verankert ist, gibt es in Argentinien nicht. In Buenos Aires wird gerade über ein Gesetz debattiert, das reuigen Sündern einen Strafnachlass einräumt, wenn sie reinen Tisch machen.

Die Widerstände sind groß und überraschend zugleich. Nicht nur im Staatsapparat und in der Justiz stemmen sich jene dagegen, die in der Vergangenheit die Hand aufgehalten haben. Auch die Unternehmerschaft des Landes versucht, den Gesetzentwurf zu verwässern. Wo genommen wurde, wurde schließlich auch gegeben.

Um sich als Firma zu retten, hat Odebrecht die Flucht nach vorn angetreten. So werden Schmiergeldzahlungen eingeräumt. Man könne helfen, die Korrupten unter den Staatsdienern herauszufiltern, schrieb die argentinische Zeitung »La Nación« und berief sich auf Treffen von Vertretern von Odebrecht und der argentinischen Regierung. Zugleich sei man bereit, Strafen zu zahlen. Die dürften aber nicht zum Zusammenbruch der Firma führen. Dazu müsse das Unternehmen jedoch weiterarbeiten und dürfe beispielsweise nicht auf der schwarzen Liste der Unternehmen stehen, die sich nicht um staatliche Aufträge bewerben dürfen.

Das Epizentrum der Erschütterungen liegt eindeutig in Brasilien. Nicht nur das politische System ist betroffen, auch Brasiliens Wirtschaft und besonders die Zukunft von Odebrecht und anderer brasilianischer Großunternehmen. Die Gefahr, dass niemand mehr mit ihnen Geschäfte machen will, ist so groß wie die Furcht potentieller Auftraggeber, dass die üblichen Zuwendungen eines Tages von reuigen brasilianischen Managern vor der Justiz ausgeplaudert werden könnten.

In einem weiteren Ermittlungsverfahren sagte Marcelo Odebrecht nun vor dem Obersten Wahlgericht aus, dass sein Unternehmen 2014 den Wahlkampf von Dilma Rousseff und ihren damaligen Vizekandidaten Michel Temer mit illegalen Millionenspenden unterstützt habe. Temer, der inzwischen das Präsidentenamt der gestürzten Dilma Rousseff übernommen hat, steht dabei im Zentrum der Anschuldigungen.

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