Schulz und die Schrittchen

Jetzt bald alles gerechter? Wie die Strömungen der Linkspartei auf den SPD-Wahlkampf reagieren - ein Überblick

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Die Kür von Martin Schulz als Spitzenkandidat der SPD hat die Voraussetzungen im Wahlkampf verändert. Zwar wird man dem Sozialdemokraten bisher nicht nachsagen wollen, schon mit einem fertigen Programm aufzutreten - dieses steht auch bei der Wahl von Schulz zum Parteichef nicht auf der Tagesordnung des Parteitags an diesem Wochenende. Mit Äußerungen, die als Agenda-Selbstkritik interpretiert wurden, hat der bisherige Europapolitiker allerdings ein Thema gesetzt: die Gerechtigkeitsfrage. Damit muss nun auch die Linkspartei umgehen, die diesen Punkt bisher gern für sich reklamiert hat. Ein Überblick über die Reaktionen auf Schulz in der Linkspartei.

In der ersten Reihe der Bundespolitik werden seit Ende Januar vor allem zwei Melodien intoniert: Die eine variiert den kritischen Hinweis auf die noch nicht absolvierte Glaubwürdigkeitsprobe der SPD, die andere stellt die eigenen sozialpolitischen Forderungen und die eigene Rolle als linkes Korrektiv ins Schaufenster.

»Wirklicher Wechsel nur mit der Linkspartei«

»Wir wollen deutlich machen: DIE LINKE ist die entscheidende Kraft für soziale Gerechtigkeit«, heißt es etwa beim Parteivorstand. Linksfraktionschef Dietmar Bartsch hat die Äußerungen von Schulz zur Agenda als einen »Schritt in die richtige Richtung, oder ich würde formulieren, ein Schrittchen« bezeichnet, allerdings auch betont, dass es »nun wirklich nicht« eine Korrektur des Schröderschen Sozialabbaus sei, »weil«, so Bartsch, »die zentralen Punkte werden nicht verändert«. Der Spitzenkandidat der Linkspartei erinnerte zudem im Deutschlandfunk daran, »die jetzigen Probleme, die Martin Schulz beschreibt, sind in Regierungsverantwortung der SPD geschehen«. Einen »wirklichen Wechsel« werde es »nur mit der Linken in Verantwortung« geben.

Nicht nur Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht pochte inzwischen mehrfach auf deutliche Änderungen im Hartz-System. Sie formulierte dies auch als Bedingung für eine rot-rot-grüne Regierung nach der Bundestagswahl. »Hartz IV heißt Absturz in die Armut, und die Angst davor hat prekäre Jobs und niedrige Löhne wesentlich befördert. Wer das nicht verändert, kann dieses Land nicht gerechter machen. Deshalb ist das für die LINKE auf jeden Fall eine Bedingung.« »Zu einem wirklichen Bruch mit Agenda 2010 und Hartz IV gehört die Abschaffung der Sperrzeiten und der Hartz-IV-Sanktionen«, wurde auch Linksparteichefin Katja Kipping zitiert. Und der Co-Vorsitzende Bernd Riexinger sagte, »eine wirkliche Rückabwicklung der Agenda 2010 statt kosmetischer Maßnahmen«.

Für Wagenknecht erklärt sich das Umfrageplus der SPD seit der Nominierung von Schulz mit »dem Prinzip Hoffnung«. Gegenüber der »Rhein-Neckar-Zeitung« hatte sich sich skeptisch darüber geäußert, »dass die SPD soziale Forderungen regelmäßig in Wahlkämpfen entdeckt«. Zu den Reaktionen in der Linkspartei auf die sozialpolitischen Äußerungen aus der SPD zählt deshalb auch die Forderung, bereits vor der Wahl im Herbst über einzelne Korrekturmaßnahmen abzustimmen - dort gibt es eine rot-rot-grüne Mandatsmehrheit. Allerdings haben die Sozialdemokraten einen Koalitionsvertrag mit der Union unterzeichnet, der festlegt, dass »die Koalitionsfraktionen einheitlich« abstimmen und wechselnde Mehrheiten »ausgeschlossen« sind.

»Das beste politische Angebot«

Der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Matthias Höhn, hat sich positiv zur Kandidatur von Schulz bei der SPD geäußert. Dies sei gut für den Wahlkampf, weil »das Rennen ums Kanzleramt wieder offen erscheint«. Damit seien auch drei Vorteile für die Linkspartei verbunden - vor allem die Themensetzung »soziale Gerechtigkeit«. Damit könne die starke Fokussierung auf Flucht, Zuwanderung, Integration, Terror und innere Sicherheit durchbrochen werden, die Höhn »eine Agenda« nennt, »bei der wir bestenfalls nicht verlieren«. Stelle Schulz nun »tatsächlich die Gerechtigkeitsfrage«, könne die Linkspartei »die Auseinandersetzung um das beste politische Angebot führen« und »punkten«. Höhn verwies auf die entsprechend ausgearbeiteten Forderungen seiner Partei: Sozialstaat wiederherstellen, Kinderarmut bekämpfen, Arbeitsmarkt regulieren, soziale Rentenreform, Reichtum besteuern.

Hinzu komme, so Höhn, dass eine schwache SPD »nicht automatisch der LINKEN« helfe. Er erinnerte daran, dass man auch nicht in Umfrage profitierte, als die SPD unter Sigmar Gabriel noch um die 20 Prozent oszillierte. Stelle man in Rechnung, dass »die Menschen wollen, dass sich etwas ändert« und zugleich, dass sie wissen, dass die Linkspartei dies nicht allein schaffe, könne eine in Umfragen stärkere SPD auch den nötigen Schwung für einen Politikwechsel bringen: »Unsere Kommunikation«, so Höhn, »braucht auch ein Fundament an gesellschaftlicher Stimmung und rechnerischer Realisierbarkeit. Martin Schulz hat uns davon nicht weiter entfernt. Im Gegenteil.«

»Alternative zur SPD-Propaganda«

Bei einer Sitzung Ende Februar kam die Nominierung von Schulz auch im Vorstand der Linkspartei zur Sprache. In einem Bericht der Strömung Antikapitalistische Linke zu der Debatte heißt es unter anderem, »in der Bewertung des momentanen Hypes um die Person Schulz und den Aufschwung der SPD in den Umfragen gab es verschiedene Einschätzungen, die teilweise auch die bekannten ›links-rechts‹-Fronten im Parteivorstand durcheinander würfelten«. Es sei darauf verwiesen worden, dass Schulz nur die hart »arbeitende Mitte« anspreche »und de facto nichts für Hartz-IV-Bezieher*innen und Prekarisierte anbietet«. Auch zu Themen wie Rente, Mindestlohn, Rüstungsausgaben und Erbschaftssteuer habe sich der Kandidat noch gar nicht eingehender geäußert.

Die Strömung fordert mit Blick auf die bisher in der SPD geäußerten Überlegungen zum Arbeitslosengeld I, für dieses müsse »bei einem arbeitgeberseitig bedingten Verlust des Arbeitsplatzes« ein »zeitlich unbefristeter Anspruch« bestehen, und zwar auch bei jedem »noch so prekären Arbeitsverhältnis«. Die im bisherigen Entwurf zum Wahlprogramm der Linkspartei formulierte entsprechende Passage wird als »relativ unverbindliche Positionsbestimmung« kritisiert. Man brauche bei diesem Thema »eine wesentliche Alternative zur SPD-Propaganda«.

Gewissermaßen auf einer zweiten Ebene in der Debatte darum, wie mit dem bisher medial erfolgreichen »Schulzzug« umzugehen sei, steht die in der Linkspartei traditionell umstrittene Regierungsfrage. Ob die Nominierung und die Äußerungen des Sozialdemokraten als Verbesserung der Chancen für Rot-Rot-Grün gesehen wird, hängt in der Linkspartei auch davon ab, wie man es mit dem Mitregieren generell hält.

»Durchsetzungsperspektive jenseits der Parlamente«

Die Strömung Sozialistische Linke warnte in einem noch vor der Nominierung von Schulz verabschiedeten Papier zum Wahlkampf 2017 davor, von einem linken Lager von Parteien auszugehen, »die eine hinreichend kohärente und potenziell mehrheitsfähige Alternative bilden könnten«. Ein solches bestehe »auf Bundesebene nicht«. Daher plädiert die Strömung für deutliche Abgrenzung von »den Kräften, die für die zunehmenden sozialen Spaltungen und internationalen Konfrontationen und Kriege mit verantwortlich sind« - was auf SPD und Grüne abzielt. Zugleich wird aber auch eingeschätzt, dass »es keine mobilisierungsfähige Strategie« sei, »einen reinen ›Oppositionswahlkampf‹ zu führen«. Schon deshalb nicht, weil es derzeit »keine bedeutenden gesellschaftlichen Oppositionsbewegungen von links gibt«. Die Sozialistische Linke lenkt den Blick daher auch auf »eine Durchsetzungsperspektive jenseits von parlamentarischen Mehrheiten«.

Die Mitte Januar vorgenommene Einschätzung, derzufolge die SPD »erfolglos« versuche, »sich in sozialen Fragen zu profilieren«, steht freilich seit der Kür von Schulz Ende Januar zur Bewährung. Das Umfrageplus und die wachsenden Kompetenzwerte der Sozialdemokraten beim Thema Gerechtigkeit sprechen mindestens dafür, dass die »Profilierung« zunächst einmal Wirkung zeigt.

»Rückenwind für einen Wechsel«

Das reformlinke Forum demokratischer Sozialismus sieht die Linkspartei auch nach der Nominierung von Schulz »gut auf die kommenden Auseinandersetzungen zur Bundestagswahl vorbereitet«. Es sei nunmehr rechnerisch eine Mehrheit für ein Mitte-Links-Bündnis nach der Bundestagswahl möglich. »Ob damit auch ein wirklicher Politikwechsel verbunden sein wird«, hänge nicht zuletzt vom Abschneiden der Linkspartei ab. Man solle »den Rückenwind für einen Wechsel in Deutschland« nun »nutzen und Alternativen zu einem weiteren Rechtsruck in diesem Land deutlich« machen.

Mit Blick auf die bisherige Konzentration der SPD auf die »arbeitende Mitte« warnte das Forum, jetzt »den Fokus ausschließlich auf Erwerbslose zu richten«. Die Linkspartei müsse versuchen, »möglichst alle Menschen in diesem Land anzusprechen«. Auch bei dieser Strömung wird Skepsis über die Forderungen von Schulz und der SPD geäußert, die »Inhalte« seien »bislang wenig konkret«. Man habe aber zur Kenntnis genommen, dass sich seit Ende Januar »viele Menschen wieder mehr für Politik interessieren«, zudem seien bereits Wanderungsbewegungen von Wählergruppen sichtbar. Dahinter stehe auch eine Akzentverschiebung bei den Themen: Es würden »nicht mehr die Provokationen der Rechtspopulisten in Medien« dominieren, »sondern der politische Diskurs um Verteilungsgerechtigkeit«. Die Linkspartei müsse sich nun »fragen, wo wir in diesem in Bewegung geratenen politischen System stattfinden wollen«.

Diese Frage stellt sich für die Linkspartei jetzt nicht zuletzt im Osten, »vor allem in den neuen Ländern haben wir in den letzten Wochen an Zustimmung einbüßen müssen«, so das Forum, das hier einen »Vertrauensverlust« sieht, »der sogar gerechtfertigt ist. Wir haben es in unserer Partei zu lange zugelassen, dass die spezifischen Belange des Ostens ins Abseits gedrückt wurden.« Teile der Linkspartei »glauben sogar, dass eine Konzentration auf ostdeutsche Interessen für die Gesamtpartei letztlich schädlich sei«, heißt es kritisch.

»Nicht nur an der SPD abarbeiten«

In der Emanzipatorischen Linken, einer weiteren Strömung, sieht man die Nominierung von Schulz und die seither veränderte medial-politische Debatte als Chance. »Dass Schulz mit seinem Gerede über eine ›soziale Wende‹ Erfolg hat, zeigt, dass es ein Potenzial für linke Politik« gebe. Sogar schon dann, heißt es in einem Papier, wenn die Sozialdemokratie »nur einen diffusen sozialen Wandel verspricht«. Gewarnt wird davor, dass ein linke und soziale Akzente setzende SPD-Wahlkampf die Linkspartei schwächen könne. »Wir müssen der Rhetorik von Schulz politisch begegnen und Sie positiv aufgreifen. An sie müssen wir andocken und aufzeigen, dass eine soziale Politik unter den Bedingungen der Agenda 2010 nicht möglich ist«, fordert deshalb die Emanzipatorische Linke. Man könne so deutlich machen, dass die Linkspartei »die einzige soziale Alternative im Land ist«.

Dies allein werde aber nicht ausreichen. Man müsse »endlich anfangen«, die Kritik »stärker in Richtung Union zu formulieren, statt sich immer und immer wieder an der SPD abzuarbeiten«. Der »Feind« stehe »rechts der Sozialdemokratie«. Positiv bewertet die Strömung, dass als ein Effekt des »Schulzzuges« die Rechtsaußen-Partei AfD in Umfragen zurückfällt. »Selbst wenn die Kandidatur von Martin Schulz scheitert, wäre dies ein Erfolg.«

»Auf jeden Fall Protestpartei«

Im Ältestenrat der Linkspartei wird ein Wahlkampf prognostiziert, der »mit einer Schärfe geführt« werde, »wie es sie noch nicht gegeben hat«. Weiter heißt es in einem Entwurf zu einem Papier, »die Funktionseliten sehen sich mit vielfältigen, tiefen Krisen und ungewohnten Herausforderungen konfrontiert, die mit Aussitzen, Lavieren oder Vertuschen, wie so oft praktiziert, kaum noch zu Händeln sind. Ein weiter so scheint nicht mehr möglich.«

In dieser Situation sei es der AfD gelungen, »die Schwächen der traditionellen neoliberalen Machthaber zu instrumentalisieren und große Teile des im Land wachsenden Protestpotentials an sich zu binden«. Die Linkspartei habe es »nicht verstanden, rechtzeitig und wirkungsvoll dagegen zu halten« - wofür der Ältestenrat unter anderem »die Positionierung einiger leitender Funktionäre« mitverantwortlich macht, die auf eine mögliche Regierungsbeteiligung setzten. »Selbstverständlich erwartet die große Mehrheit in der Partei und unserer Wählerschaft, dass sie auf jeden Fall Protestpartei bleibt.« tos

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