Cowboy oder Indianer

Die Geschichte der linken Hausbesetzerbewegung ist nicht nur eine Geschichte der gereckten Fäuste und großen Visionen, sondern auch des Jungmännermachismo und des Älterwerdens

  • Klaus Ungerer
  • Lesedauer: 7 Min.

Was mich immer auf Distanz zur alternativen Szene gehalten hat, war ihr mangelnder Wille zur Schönheit - aber vielleicht sind ja auch meine Schönheitsideen zu bürgerlich geprägt. Mich hat das immer subkutan abgestoßen: das meterhohe Bekrakeln von Häusern, das Tragen verfilzter Haare, das gegenseitige Anspucken der Punks, oder, anders empfunden: der überall hervormiefende Jungmännermachismo mit seinem Freund/Feind-Denken, mit seinem In-die-FresseSpringen.

Mich grob als links empfindend, habe ich in meiner Göttinger Studentenzeit auch mal den Versuch unternommen, mich der dortigen Szene anzunähern - es war nicht auszuhalten. Wie die wortführenden Junggorillas sich auf ihren ostentativ falschrum hingestellten Stuhl setzten und ostentativ gegen das Rauchverbot anquarzten, eitel grinsend. Oder, schlimmer, wie im Studierendenparlament die knapp machthabenden Linken mit leeren Bierflaschen lachend nach ihren Feinden warfen, den brav um Fassung bemühten Jungliberalen. Das Ganze umspielte eine Aura von Unreife und Selbstvergeilung, die ich immer auch in der revolutionären Rhetorik, in all den gereckten Fäusten auf Plakaten, in der Verehrung des schnieken Mini-Stalin Che Guevara spürte. Musste nicht, wer eine lebenswerte Gesellschaft anstrebte, sich tolerant und einigermaßen erwachsen verhalten? Wären nicht eine Harmonie und eine Schönheit das - wenn auch utopische - Ziel?

Ich bin da immer am Rande geblieben. Mal haben schöne Frauen mich vorübergehend in die Tierschützerszene gezogen, mal schrieb ich für ein alternatives Stadtmagazin, wo sie meinen Text zwar zu würdigen wussten, mich aber auch das Gefühl beschlich: Hier geht es nicht um Schönheit oder Welterkenntnis. Es geht ums Dazugehören oder Draußensein. Cowboy oder Indianer, Bulle oder Hausbesetzer - entscheide dich! Sonst entscheiden wir.

Ob ich richtig lag oder nicht, werde ich wohl nie mehr herausbekommen, aber gerne nehme ich für dieses Mal Daniel Cohn-Bendit als Zeugen, der in dem wunderbaren, reichen Buch »Das ist unser Haus« auch zu Wort kommt: Mit der Abgeklärtheit des oberen Mittelalters findet er eine simple Erklärung für vieles Unerfreuliche, was im Frankfurter Häuserkampf stattfand: »Nicht umsonst hießen wir ›Revolutionärer Kampf‹ und nicht ›Sozialistisches Büro‹. Und natürlich haben sich dann aus diesen Gruppen als Antwort auf Polizeiinterventionen kleine Selbstverteidigungsgruppen gebildet, der Wunsch junger Männer, ihren Mann zu stehen, mit allen Gewaltfantasien, die man so haben kann.«

Wenn nun auf beiden Seiten das Testosteron dampft, ergibt sich alles Weitere von selbst. Cohn-Bendit: »Im Nachhinein würde ich sagen, die Polizei hat durchaus versucht, eine vorsichtige Taktik zu fahren. Die Polizisten vor Ort waren auch junge Männer, und wenn die sechs Stunden rumstehen mussten, hatten die Wut im Bauch. Die Logik eines solchen Einsatzes ist eben die, dass am Ende die Polizei genervt ist und nach dem Motto verfährt: Jetzt machen wir mal kurzen Prozess. Das ist ja meine These der zornigen jungen Männer, die sich auf beiden Seiten gegenüberstehen.«

Dumpfer Machismo sprang mich immer als Erstes an, wenn ich mit der alternativen Szene in Kontakt kam, sei es der selbstgesuchte Protomilitarismus des schwarzen Blocks, sei es der zubetonierte Dogmatismus der Theoretiker. Sollte etwa so die Freiheit aussehen? Die Achseln zuckend, ließ ich diese ganze Szene links liegen. Nun ist aber dieses Buch herausgekommen. Zwei Mal steht da der Name Sichtermann auf dem Cover, und beide Male kann man an dem Namen nicht vorbeigehen. Wenn ich mir von irgendjemandem die Geschichte der Hausbesetzungen erzählen lassen will, dann wohl von Barbara Sichtermann, die mir als »Zeit«-Autorin mit ihren klugen und unterhaltsamen Texten das Heranwachsen erträglich machte. Und von ihrem Bruder Kai, der... Wie soll ich sagen?

Wenn Deutschland jemals einen wirklich guten Popsong hervorgebracht hat, dann ist es der »Rauch-Haus-Song« von Ton Steine Scherben. Nie wieder hat es das gegeben: Eine Band singt direkt aus dem politischen Brennpunkt ihrer Zeit, sie singt über eine Hausbesetzung und den nachfolgenden Polizeieinsatz, sie singt über die CDU und über den zuständigen Senator, sie packt die Namen dreier Spekulanten und Miethaie in den Refrain, sie lässt Bewohner des Hauses den Chor singen - und schafft dabei ein wahres Volkslied, so voller Wärme und Hoffnung und so ganz ohne juvenile Aggressionslust, sie begibt sich mit ihrem Anliegen in die Sphäre der Schönheit.

Von dogmatischer Seite hat man den Scherben stets übelgenommen, dass sie aus ihrer Agitprop-Phase ins Bekifft-Verträumte und gegen Ende Richtung Pop vorgedrungen sind. Für mich haben die Pole ihres Schaffens sich eher gegenseitig beglaubigt. Da wurde nicht ums Verrecken an einer Linie festgehalten, da wurde der Kampf ebenso umarmt wie die Resignation, wie der Traum vom Frieden. Und von Anfang an dabei war Kai Sichtermann, der auch das Banjo beim Rauch-Haus-Song spielte. Wahr ist nämlich auch: Diese Schönheit ist inmitten der Hausbesetzerszene gewachsen, die Band war ein Teil und ein Motor davon, mehr als eine Hausbesetzung sind als direkte Folge ihrer Auftritte entstanden. Wie sollte man dieses Buch also nicht lesen wollen?

Wie aber sollte man über dieses Buch schreiben wollen? Es ist ja so bunt. Es hat dröge Texte und packende, es hat Zeitzeugeninterviews, Häuserkampffotos, Hausbesetzer-Propagandamaterial, es schillert und glitzert, und manchmal braucht es nur die wenigen Zeilen einer Erinnerung, um eine ganze soziale Sphäre erlebbar zu machen. Ein junger Mann kommt Mitte der 80er Jahre nach Kreuzberg, begibt sich in die alternative Szene und hört von einem Chor, der dort regelmäßig proben soll. Er freut sich, denn er hat auch Lust zu singen. Sein Kumpel guckt ihn nur an: »Das ist alter Hausbesetzeradel, Mann! Da musste von Anfang an dabei gewesen sein, man wird eingeladen. Keine Chance, Alter!«

Es ist das Schöne an diesem Buch, dass es auch die inneren Widersprüche der Szene nicht ausschweigen will: Wie die Hausbesetzer schon nach wenigen Wochen, darin manchem Staatenlenker ähnlich, einen Aufnahmestopp verhängen. Oder: Wie nach der Besetzung eines Hauses durch Lehrlinge plötzlich die Übernahme durch bürgerliche Linke beginnt, die sich nach politischer Praxis sehnen. »Deshalb sind die ja reingeschneit bei uns, das war reiner Polittourismus. ›Ach guck mal, Proletarier, die machen da mal was selber - ist das interessant?! Vielleicht können wir da ja ein bisschen mitmachen ...‹«, erzählt Bernhard Käßner, Erstbesetzer des Georg-von-Rauch-Hauses: »Wir Lehrlinge waren da wie die Exoten im Zoo, na, und wenn die dann angefangen haben mitzureden, da haben wir gesagt: ›Komm, halt dein Maul, ich versteh kein Wort‹, weil die nur noch mit lateinischen Wörtern gequatscht haben. Die haben nicht unsere Sprache gesprochen.«

Im Bericht über den Hamburger Hafenstraßenkampf findet das Buch seinen dramatischen Höhepunkt, in dem auch der Distanziertere mit den Hausbesetzern sympathisiert - aber eben auch vor dem Bürgermeister Dohnanyi ein wenig Respekt bekommt. Eingeordnet werden die Hamburger Verhältnisse vom Zeitzeugen Andreas Blechschmidt, der nicht am Zwang zum Kompromiss und zur Anpassung vorbeikommt: Die Rote Flora sei »ungewollt in die Falle der Standortpolitik getappt - sogar ihre Resistenz gegen Vereinnahmung ist zum Standortfaktor geworden. Selbst die Handelskammer hat die Rote Flora wegen ihres Standortfaktors gelobt, bizarrer geht’s kaum.« Was bleibt letztlich von den großen Visionen? Blechschmidt: »Dieser Mythos vom linken alternativen Stadtteil, wo wir uns wie ein Fisch im Wasser bewegen, ist eine romantische Projektion, die einfach nicht stimmt. Hier gibt es genauso viele rassistische Arschlöcher, die Unsinn verbreiten, wie woanders auch.«

So ist dies auch ein Buch über das Älterwerden, über das Vergilben von Träumen und Idealen und über die Frage, was bleibt. Viele Hausbesetzer haben ihre vier Wände in Eigentum umgewandelt, es geht ihnen gut. Manche haben Karriere gemacht, manche hängen der guten alten Zeit vielleicht noch nach, manche pflanzen Primeln an urbane Bäume. Vieles ist anders gelaufen als gedacht, alles hat seine guten und seine schlechten Seiten gehabt, manchmal hat vielleicht sogar scheinbar sinnlose Gewalt die Politik an den Verhandlungstisch gezwungen. Das Leben ist bunt und grau.

Ein guter Ort, um das Buch zu lesen, ist der Kotti in Berlin, der Platz am Kottbusser Tor, der verhauenste, zerplanteste, betonverschissenste Ort, der sich vorstellen lässt, längst ein Epizentrum von Drogenhandel, Gewalt und Kriminalität. Hier gab es mal einen gewachsenen Altbaubestand. Bis Ende der 60er irgendwer beschloss, das alles plattzumachen, und irgendwer sicher gutes Geld daran verdient hat. Wer diesen Ort auf sich wirken lässt, spürt den Pflasterstein schon fast in der Hand.

Barbara Sichtermann/Kai Sichtermann: Das ist unser Haus. Eine Geschichte der Hausbesetzung. AufbauVerlag, 300 S., geb., 26,95 €.

Buchvorstellung mit den Autoren: 21.3., 20 Uhr, REH, Raumerweiterungshalle Geyersbach, Kopenhagener Straße 17, Berlin-Prenzlauer Berg

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