»Zeit«-Recherchen zur antideutschen Linken

Leo Fischer über Victory-Zeichen aus Pommes frites und andere eindeutige Anzeichen für antideutsche Umtriebe

  • Leo Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor knapp dreißig Jahren ging ein Ruck durch die westdeutsche Linke. Abgestoßen vom nationalen Taumel der Wiedervereinigung und einem neuen deutschen Selbstbewusstsein, angeleitet durch die Kritische Theorie und Studien zum autoritären Charakter, machten sich einige linke Journalisten und Akademiker so ihre Gedanken über deutsche Kontinuitäten in Sachen Antisemitismus, Wir-Gefühl und die »Wiedergutwerdung der Deutschen« (Eike Geisel). Nicht zuletzt war ihnen die eigene Szene unbehaglich geworden, in welcher ein plumper Antiimperialismus pauschal die Vereinigten Staaten für alles Übel der Welt verantwortlich machte, während Deutschland letztlich nur deren Opfer war. Die »Antideutschen« waren geboren, als ein Projekt linker Selbstkritik.

Heute sind die Antideutschen, oder was man dafür hält, in aller Munde. Sahra Wagenknecht und Diether Dehm, Bodo Ramelow und Björn Höcke, »Russia Today« und AKP-Anhänger, Martin Lejeune und »Freitag«, Islamisten und SPDler - sie alle sehen in ihnen eine nicht näher zu bezeichnende Gefahr. Die Frage, welche Positionen sie eigentlich vertreten, ist dabei zweitrangig, das Wort »antideutsch« selbst klingt schon so stark nach Querulant, Deserteur, Volksschädling, dass sich eine inhaltliche Auseinandersetzung weitgehend erübrigt.

In den vergangen Jahren hat sich die antideutsche Bewegung popularisiert; es gibt Bands und bunte Zeitschriften, die ihren Inhalten nahestehen. Dies zum Anlass nahm nun der »Zeit«-Journalist Mohamed Amjahid, ein Porträt dieser linken Subkultur zu verfassen (»Ga Ga Land«, Zeit-Magazin); die Recherchen dafür haben nach eigenen Angaben mehr als ein Jahr gedauert. Seine Quellen umfassen dabei wenig mehr als Wikipedia und Facebook-Postings; darüber hinaus hat er sich mit zehn anonym bleibenden Szenegängern unterhalten, deren Äußerungen eher eine implizite Gegnerschaft erkennen lassen. Amjahid bleibt dabei auf der popkulturellen Oberflächenebene; er stört sich an USA- und Israelflaggen in Kinderzimmern, der Begeisterung für McDonald›s und Partys mit Darkroom. Der 29-jährige Journalist behandelt diese Jugendkultur dabei mit einer Herablassung, wie sie sich vor vierzig Jahren in der »Bild«-Zeitung über Hippies und »Gammler« fand.

Das Ressentiment des Autors schnappt dabei immer wieder über: »Auf Snapchat und in geheimen Facebook-Gruppen, in die man über Kontakte reingeschleust wird, präsentieren sich Hunderte junge Menschen mit bunt gefärbten Haaren, Davidstern-Tattoos oder Piercings im Gesicht. Sie kauen genüsslich auf labbrigen Burgern und formen mit dünnen Fritten das Victoryzeichen.« Banalitäten werden zur Sprache einer Geheimgesellschaft gedeutet, im verschwörerischen Ton behauptet Amjahid eine Verschwörung, wo Jugendliche nur im Schnellrestaurant hocken. Mit jedem Satz überbietet er sich selbst mit Andeutungen und Unterstellungen: »Die Frage, wie viele Antideutsche es in Deutschland gibt, ist genauso schwer zu beantworten wie die Frage, wie viele Deutsche neoliberal denken.« Einmal sind die Antideutschen mit Neoliberalen in einen Zusammenhang gestellt, ein andermal mit Rassisten, ein drittes Mal mit unpolitischen Hedonisten. Alles, was nur irgend anrüchig ist, wird ihnen angedichtet; dabei stehen die politisch tatsächlich vielleicht etwas orientierungslosen Jugendlichen als billiger Strohmann für die intellektuellen Antideutschen, deren Argumenten der Autor nahezu vollständig aus dem Weg geht.

Schließlich ergeht sich Amjahid in bloßen Behauptungen: »Das Phänomen der Antideutschen ist ein rein deutsches. Während man in Frankreich bei jeder Gelegenheit selbstverständlich ›Vive la France!‹ ruft, verbindet man hierzulande mit ›Lang lebe Deutschland!‹ den dumpfen Geist der Nazizeit und derer, die ihr immer noch nachtrauern.« Man weiß nicht, über welches Frankreich Amjahid in den letzten Jahren gelesen hat; sicher aber nicht über das Frankreich, in welchem immer wieder soziale Aufstände aufbranden, ohne dass ein einziger Anarchist dabei »Vive la France« ruft.

Das könnte einem alles recht egal sein. Doch dann führt man sich wieder vor Augen, dass, rein demokratietheoretisch gesprochen, es ja Leute wie Amjahid sind, die im Zweifel das Wiederaufkeimen eines neuen Faschismus verhindern müssten. Ich hingegen traue Amjahid nicht einmal zu, mir sonntags Brötchen zu holen. Ein Deutschland, das von Leuten wie ihm verteidigt wird, muss jedenfalls ganz dringend abgeschafft werden.

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