Für ein Berlin ohne Abschiebungen
200 Menschen demonstrieren am Flughafen Schönefeld / Europaweite Aktionstage von »Welcome2Stay«
Berlin. Eine spanische Schulklasse blickt irritiert auf, als sie ihre Rollkoffer am abgesperrten Terminal C des Flughafen Schönefeld vorbeiziehen. Auf dem Rückweg ihres Besuches in der deutschen Hauptstadt bietet sich ihnen ein ungewohnter Anblick. Vor dem Terminal haben sich bei stürmischem Frühlingswetter 200 Menschen versammelt, um gegen Abschiebungen zu demonstrieren, die auch vom südlichen Berliner Flughafen aus durchgeführten werden.
Allein in Berlin fanden im vergangenen Jahr 1820 sogenannte »Rückführungen« abgelehnter Asylbewerber statt. Auch unter der neuen rot-rot-grünen Landesregierung finden diese weiterhin statt. In ihrer Koalitionsvereinbarung halten die drei Parteien lediglich fest, zukünftig verstärkt auf »freiwillige Rückführungen« zu setzen. Dem bundesweiten Netzwerk »Welcome2Stay«, in dem sich antirassistische Organisationen, Willkommensinitativen und selbstorganisierte Geflüchtete zusammengeschlossen haben, gehen diese Formulierungen nicht weit genug. Sie riefen deshalb zur Demonstration in dieser Woche auf.
»Wir wollen ein Berlin, in dem alle Platz haben, in Berlin, in dem niemand Angst haben muss, abgeschoben zu werden« schallt es vom Lautsprecherwagen. Direkt im Anschluss setzt sich die Menge in Bewegung, um durch die Terminals des Flughafens zu ziehen. Teilnehmer halten Schilder gegen die AfD hoch, ein Aktivist skandiert auf Französisch antirassistische Parolen durch ein Megafon.
Insgesamt fällt die Vielfalt der Teilnehmenden auf: Redebeiträge werden in vier verschiedenen Sprachen gehalten, eine Mutter mit zwei Kleinkindern läuft neben zwei schwarzen Geflüchteten, afghanische Jugendlich halten Schilder mit englischsprachigen Parolen in die Höhe. Diese Vielfalt sieht Lisa Baum, Pressesprecherin von »Welcome2Stay«, auch als eine große Stärke des Protests: »In der Vergangenheit hat es immer wieder Spaltungen in gute und schlechte Geflüchtete gegeben, heute gemeinsam mit so vielen verschiedenen Leuten vor Ort zu sein ist deshalb schon ein erster Erfolg«, so Baum.
»Biete: Waffenexporte - Suche: Sichere Herkunftsländer« heißt es sarkastisch auf dem Schild, dass ein afghanischer Demonstrant hochhält. In den letzten Monaten wurden zahlreiche Staaten als sichere Herkunftsstaaten deklariert, zuletzt auch Afghanistan. Innenminister Thomas De Maiziere erklärten damals - gegen heftige Kritik - die Sicherheitslage des Landes sei insgesamt zwar kompliziert, zahlreiche Regionen seien jedoch »hinreichend sicher«. Direkte Abschiebungen nach Afghanistan gab es von Berlin aus bislang noch nicht, der afghanischstämmige Deutsche Kava Spartak sieht dennoch genügend Anlass zur Kritik. Nach wie vor würde auch das Land Berlin Abschiebungen von Afghanen in sogenannte sichere Drittstaaten durchführen, obwohl klar sei, dass viele unmittelbar weiter nach Afghanistan deportiert würden. »Das macht mich wütend«, sagt Spartak, der von der neuen Landesregierung fordert, »endlich Farbe zu bekennen und sich auch im Bundesrat dafür einzusetzen, Abschiebungen nach Afghanistan zu beenden«.
Sammelabschiebungen gibt es indes auch unter dem neuen Rot-Rot-Grünen Senat, wenn auch nicht nach Afghanistan. Bis zu zwei monatliche Charterflüge mit ausgewiesenen Asylbewerbern gebe es allein von Schönefeld aus, erklärt eine Aktivistin. Diese würden hauptsächlich in die zu sicheren Herkunftsstaaten deklarierten Ländern des Westbalkans gehen. »Wir unterstützen die Forderung, Abschiebungen nach Afghanistan auszusetzen, letztlich muss es aber darum gehen, dass die Berliner Landesregierung dem von ihr angekündigten Paradigmenwechsel endlich Taten folgen lässt und einen allgemeinen Abschiebestopp verfügt«, so Baum von »Welcome2Stay«. Denn auch Sinti und Roma seien in den Balkanstaaten nicht sicher und sähen sich zunehmender Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt.
Zeitgleich fanden auch in Frankfurt, Bremen und Leipzig Demonstrationen und Kundgebungen des Netzwerkes statt. Ebenso in mehreren Städten in Italien, Griechenland und Großbritannien, an denen teils tausend Personen teilnahmen. Anlass ist der Jahrestag des Beschlusses des EU-Türkei-Abkommens. Am 20. März 2016 vereinbarten die europäischen Staaten mit dem südöstlichen NATO-Partner die »irreguläre Migration« aus der Türkei in die EU zu beenden. Dessen Bilanz fällt jedoch ernüchternd aus: Gerade einmal 916 Geflüchtete wurden nach Angaben des deutschen Innenministeriums in die Türkei »zurückgeführt«, dennoch sind die Zahlen der Neueinreisenden signifikant gesunken. Nichtregierungsorganisationen wie »Pro-Asyl« mahnen indes immer wieder massive Verletzungen von Menschenrechten in Auffanglagern in Griechenland und der Türkei an.
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