Hessen gedenkt verfolgter Politiker

91 gewählte Mandatsträger des hessischen »Volksstaats« wurden nach 1933 verfolgt

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

72 Jahre nach der Zerschlagung der NS-Diktatur geht in Hessen die Aufarbeitung der Biografien von Tätern und Opfern des Regimes weiter. Ursprünglich von der Linksfraktion angeregt, hatte der Wiesbadener Landtag vor wenigen Jahren eine Studie in Auftrag gegeben, die die lange verschwiegene frühere NSDAP-Mitgliedschaft von Parlamentariern in den Nachkriegsjahrzehnten belegte. Nun erschien ein Werk mit biografischen Details von Landtagsabgeordneten auf dem Gebiet des heutigen Hessen, die ab 1933 als Gegner des NS-Regimes verfolgt wurden.

Das von dem Historiker Michael Bermejo verfasste, über 350 Seiten umfassende Buch »Der Verfolgung ausgesetzt - Hessische Parlamentarier in der NS-Zeit« porträtiert 91 Politiker, die Anfang 1933 ein Mandat oder die Anwartschaft auf ein Mandat im damaligen »Volksstaat Hessen« besaßen. Sie wurden nach der Gleichschaltung des Staatsapparats ihrer Funktionen enthoben.

Die meisten von ihnen gehörten den Arbeiterparteien an: 50 stammten aus der SPD, 14 aus der KPD und einer aus der SAPD. Die restlichen 26 Parlamentarier gehörten bis auf einen nationalliberalen DVP-Mann der katholischen Zentrumspartei an. Alle 91 Politiker werden in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt - vom SPD-Mann Bernhard Adelung bis zum KPD-Mann Georg Zwilling.

Adelung war als Höhepunkt seiner Laufbahn bis März 1933 Regierungschef einer Koalition aus SPD, Zentrum und linksliberaler DDP im damaligen Volksstaat Hessen mit Sitz in Darmstadt. Der gelernte Maurer Zwilling war seit 1931 Bürgermeister in der kommunistischen Hochburg Mörfelden und machte im Rathaus soziale Erleichterungen für die Not leidende Bevölkerung zur Chefsache. Er wurde bereits Ende März 1933 von den NS-Behörden erstmals inhaftiert.

Unter den 91 Verfolgten befanden sich übrigens nur zwei Frauen, die es in die damals von Männern beherrschten Parlamente schafften - die Sozialdemokratin Luise Pringsheim und die Kommunistin Cäcilie Schäfer. Pringsheim, die als Mutter »halbjüdischer Kinder« in Nazi-Deutschland gefährdet war, überlebte die NS-Zeit im Exil und musste sich nach ihrer Rückkehr in Darmstadt als Dozentin mit Volkshochschulkursen durchschlagen. Schäfer blieb bis zu ihrem Tod 1981 Kommunistin und Ostermarschaktivistin.

Als der einzige auf Listen der oppositionellen Kommunistischen Partei-Opposition (KPO) und der linken SPD-Abspaltung SAPD während der Weimarer Republik in einen Landtag gewählte Abgeordnete sticht der Gewerkschafter Heinrich Galm hervor. Er hatte eine Basis in der Offenbacher Arbeiterschaft und war nach 1945 führender Kopf der neuen Arbeiter-Partei (AP), die allerdings nie überregional Fuß fasste. Nach deren Auflösung 1954 engagierte er sich bis zu seinem Tode 1984 in der SPD.

Der Prominenteste unter den 91 dürfte Wilhelm Leuschner gewesen sein. Der ADGB-Gewerkschafter war von 1928 bis 1933 Innenminister. In dieser Funktion verhängte er ein Verbot von »SA- und SS-Formationen«, ordnete aufgrund von Informationen über konkrete Mordpläne Hausdurchsuchungen bei NS-Funktionären in Darmstadt an und setzte sich für ein Verbot der Nazipartei ein. Im Zusammenhang mit dem gescheiterten Attentat auf Hitler 1944 wurde Leuschner hingerichtet. Sein letztes Vermächtnis »Morgen werde ich gehängt, schafft die Einheit« war für viele Arbeiter beim Wiederaufbau der Gewerkschaften ab 1945 prägend.

20 Jahre nach seinem Tod führte Hessen die Wilhelm-Leuschner-Medaille als höchste Auszeichnung des Landes ein. Sie wird mehrmals jährlich vom Ministerpräsidenten verliehen. Da man zunächst nicht so genau hinsah, gehörte zu den ersten Trägern der Medaille 1965 das Ex-NSDAP-Mitglied Karl Theodor Bleek. Er war in der NS-Zeit Stadtkämmerer in Breslau, dann von 1946 bis 1951 Oberbürgermeister in Marburg, später Staatssekretär im Bundesinnenministerium und Chef des Bundespräsidialamtes. Seine Karriere wurde dadurch begünstigt, dass er im Entnazifizierungsverfahren seine frühere NS-Mitgliedschaft verschwieg.

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