Damit der Kalte Krieg ein Ende habe
Erinnerung an Hermann Kant und Gerhard Zwerenz: Buch und CD über ein Streitgespräch vor zwanzig Jahren
Seltsam, so lange ist es nun schon her, dass die zwei sich zur Leipziger Buchmesse im Academixer-Keller trafen: Hermann Kant, damals 70, Gerhard Zwerenz, 71. Inzwischen sind beide nicht mehr am Leben. So ist dieses Buch, erschienen in jenem Verlag, der 1997 auch die Veranstaltung organisierte, ein willkommenes Stück Erinnerung. Ein unwiederbringliches Erlebnis wieder erlebbar zu machen, ermöglicht zudem die gleichnamige Doppel-CD, auf der man die Stimmen der beiden Schriftsteller noch einmal hören kann.
Alles so, wie es abgelaufen ist damals vor einem begeisterten Publikum: Nichts wurde im Nachhinein redigiert. Aber da saßen sich ja auch zwei Redegewandte gegenüber, die jahrzehntelang über die deutsch-deutsche Grenze hinweg ihren Zwist ausgetragen hatten, den sie nicht nur als einen persönlichen verstanden. Aus Überzeugung, aber auch mit einer Scharfzüngigkeit, an der sie selber Freude hatten.
Und nun eine Aussprache vor Publikum (auf Zwerenz’ Initiative, Kant sagte zu). Das Verbindende: Beide mussten sie als ganz junge Männer in den Krieg, kamen in Gefangenschaft - Zwerenz in russische, Kant in polnische. Das waren, wie Zwerenz dann sagte, ihre »Universitäten«. Dort reifte in ihnen die Überzeugung, dass es grundlegender gesellschaftlicher Veränderungen bedarf, damit von Deutschland nie wieder ein Krieg ausgeht. Beide kamen in die DDR, wurden Mitglied der SED. Die Kluft zwischen ihnen riss 1956 auf, als eine intellektuelle Opposition innerhalb der SED entstand, die nach dem Ungarnaufstand leicht als Konterrevolution gebrandmarkt werden konnte.
Was manche der Akteure vielleicht als befreiende theoretische Debatten erlebten, war ja auf Grundlegendes gerichtet. Das ganze von der Sowjetunion übernommene System sollte reformiert werden - in der trügerischen Hoffnung, dafür in Moskau Rückendeckung zu finden. Nicht zuletzt war, was Autoren wie Harich, Janka, Loest, Zwerenz diskutierten, mit personellen Folgen verbunden. Ulbricht aber dachte nicht daran, seinen Thron zu räumen, und konnte sich mit seiner Kampfansage an die »Konterrevolution« der sowjetischen Schutzmacht als Hüter sozialistischer Stabilität empfehlen.
Zwerenz: »Wenn mich meine Informationen nicht trügen, ist Hermann Kant in Berlin genauso mit seiner Partei, der SED, in Schwierigkeiten gekommen wie ich hier in Leipzig, nur - Hermann Kant ist den Weg gegangen, dass er zu dieser Partei, zu dieser DDR gehalten hat, hier seine Karriere gemacht hat, und ich bin den anderen Weg gegangen: Ich musste in den Westen ...« Weil er zu der Gruppe um Erich Loest gehörte und nur so der Verhaftung entging, sei hinzugefügt. Nicht lediglich aus Vorsicht, sondern aus Einsicht hat Hermann Kant seine Entscheidung getroffen. Abrupte Veränderungen, darin war er sich damals schon sicher, würden das ganze Staatswesen DDR, diesen sozialistischen Versuch auf deutschem Boden, gefährden, die BRD immer mitgedacht, wo sich jene Verhältnisse restauriert hatten, die stets den Keim eines Krieges in sich tragen.
Wenn er mit manchem in der DDR haderte, setzte er auf Langfristigkeit: »Ja, in der Tat, ich hab immer geglaubt, und man kann mich dafür auslachen, ich hab immer geglaubt, das kriegen wir repariert«, sagt er in diesem Gespräch. Das habe für ihn eine Auseinandersetzung nach zwei Seiten mit sich gebracht, »nämlich einerseits mit meiner Partei, die manchmal für mich als jungen Kerl erkennbaren Großunsinn trieb …« - »Die Einsicht kommt spät …«, unterbricht Gerhard Zwerenz - »… und andererseits wollte ich es ihr aber nicht sagen, weil dann der Westen zuhört, und der Westen freut sich …«
Da könnte man heute überlegen, inwieweit der allgegenwärtige Kalte Krieg der oft geäußerten Forderung nach inneren Reformen in der DDR entgegenwirkte. Sie hätten uns in Ruhe lassen sollen, dann wäre manches besser vorangekommen? Oder hätte eine solche Nichteinmischung die Erstarrung nur verstärkt? Der Bau der Mauer, damals von vielen Intellektuellen als vorläufig angesehen und mit der Hoffnung verbunden, nun das Eigene ungestörter verwirklichen zu können, wirkte ja sofort auch restriktiv nach innen.
Für solche Gedanken ist bei diesem Schlagabtausch aber noch kein Platz. Gegenseitige Verletzungen sind zu benennen, Verständnis ist zu entwickeln, denn es soll ja in dieser kurzen Zeit zu einer Verständigung kommen. Auf die Zukunft hin. Gerhard Zwerenz will, »dass der Kalte Krieg ein Ende hat«, wenigstens zwischen ihnen beiden, die doch durch Ideale von Frieden und Gerechtigkeit verbunden sind. Zu einem »Zweckbündnis« ruft er, denn »ich sehe eine große Gefahr in der gesellschaftlichen Entwicklung dieses vereinigten Landes«. Einwand Kant (auch aus schmerzlicher Erfahrung persönlicher Ausgrenzung): »Ich glaube nicht, dass der Kalte Krieg in dem Sinne vorbei ist … Wir erleben eine erbitterte Bemühung, die NATO nach Osten auszuweiten. Kein Teufel sagt, gegen wen eigentlich.«
Zwerenz: »Die verteufelte Situation ist ja erst so verteufelt geworden, weil Sie in Ihrem sozialistischen Lager nicht weitergewusst haben und weil Sie uns, den Linken in der ganzen Welt, demonstriert haben, dass die äußere Alternative, das andere Leben, das gewagt worden ist und das sehr groß gewesen ist, wenn wir es geografisch sehen, dass dieses nicht möglich ist. Dieser Bankrott hat uns die große Hoffnung auf die äußere Alternative genommen.«
Stimmt leider: Was unsereinem in Deutschland und in der Welt heute zunehmend bedrohlich erscheint, es hat auch mit diesem Bankrott zu tun. Keine warnende Äußerung in diesem Buch, die sich nicht bewahrheitet hätte. Nicht erfüllt indes hat sich, was Gerhard Zwerenz als Hoffnung äußerte: dass sich Schriftsteller zusammentun könnten, um zu überlegen, »wie man einen verrückt gewordenen Superkapitalismus stoppen kann … Es geht um das Verhältnis der Deutschen zum Krieg, zum Militär, zur Ermöglichung von neuen Kriegen!«
Zwerenz wusste damals schon um die Schwäche der intellektuellen Opposition in diesem Land, und Kant, wohl in seinen Einsichten mit ihm einig, hatte schon überhaupt keine Illusionen mehr, was künstlerische Einmischung in gesellschaftliche Angelegenheiten betrifft, die er in der DDR mit dem Schriftstellerverband immerhin versucht hatte.
Zu vorsichtig versucht, mag ihm mancher heute entgegenhalten. Was wäre real die Alternative gewesen? Den Weg von Loest oder Zwerenz zu gehen? Eine Öffnung des DDR-Systems durch Konfrontation? Alle, die das versuchten, haben im Grunde das Gegenteil erreicht: noch mehr Dogmatismus, noch mehr Verhärtung. Oder sich zurückzuziehen aus politischen Funktionen und sich nur der Schreiberei zu widmen? Wenn er sich noch einmal entscheiden könnte, würde er das tun, hat er später mal gesagt und gleich hinzugefügt, dass er sein Engagement nicht bereue.
Rückzug ins Private wäre auch nicht seine Sache gewesen.
Hermann Kant und Gerhard Zwerenz: Unendliche Wende. Ein Streitgespräch. Dingsda-Verlag. 100 S., geb., 9,95 €. Gleichnamige Doppel-CD 19,95 €.
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