Sonne, Pathos, Politik
Feiern zu 60 Jahren Römische Verträge lassen Zweifel an der Zukunft der EU bestehen
Strahlender Sonnenschein bei frühlingshaft warmen Temperaturen: Das Wetter in Rom hätte am Samstag nicht besser sein können für den Anlass, zu dem 27 EU-Staats- und Regierungschefs schon am Vortag in die Ewige Stadt gereist waren: 60 Jahre Unterzeichnung der Römischen Verträge gab es zu feiern. Oder anders ausgedrückt: 60 Jahre vereintes Europa. Das Projekt, das damals mit sechs Ländern begann, zählt heute 28 Mitglieder. Noch, denn bekanntlich steht Großbritannien ja kurz vor dem Austritt aus der Union.
Das war einer der Moll-Klänge, die immer wieder mitschwangen in den Reden und Äußerungen der Feiergäste, wenn sie sich über Zustand und Zukunft der Union äußerten. Die drohende Gefahr, dass die EU den aktuell schwierigen Herausforderungen als Gemeinschaft nicht gewachsen sein oder auch die Menschen in Europa verlieren könnte, waren andere dieser Moll-Klänge, die unbeschwerte Feierlaune trotz vielen Lächelns nicht aufkommen ließ.
Immerhin war noch im Vorfeld das Schlimmste vermieden worden. Während der vergangenen Woche hatte zunächst Griechenland, dann Polen überraschend damit gedroht, die gemeinsam ausgearbeitete Erklärung der Staats- und Regierungschefs doch nicht unterzeichnen zu wollen. Ein Eklat drohte, doch dann lenkten sowohl die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo als auch ihr griechischer Amtskollege Alexis Tsipras ein. Beide setzten ein demonstrativ breites Lächeln auf, als sie am Samstag ihre Unterschrift unter die Erklärung setzten. Bei der national-konservativen und gutgläubigen Polin Szydlo mag eine Rolle gespielt haben, dass am Vorabend alle Unterzeichner bei Papst Franziskus geladen waren.
Der erteilte der Feier dabei erwartungsgemäß den Segen, gab allerdings auch eine Warnung mit: Die EU müsse vor allem Solidarität leben und ein Europa der Menschen sein.
Dass die Nähe zu den Menschen für die EU nicht so ganz einfach ist, machte der Samstag deutlich. Hermetisch war das Gebiet rund um das Kapitol, der Ort des Festakts, von Sicherheitskräften abgesperrt. Die Organisatoren hatten dieses Gebiet zur »blauen Zone« erklärt, in Anspielung auf die Farbe der europäischen Fahne. Kein Unbefugter durfte diese Zone betreten.
Die Feier selbst verlief stark nach Protokoll und zumeist sehr steif. Zur Europahymne »Ode an die Freude« standen alle im Festsaal anwesenden Gäste auf. Auf einem Podium hinter einem Tisch saßen die drei Präsidenten der wichtigsten EU-Organe (Parlament, Rat, Kommission), dazu der italienische und der maltesische Ministerpräsident. Alle durften Reden halten, die umrahmt wurden durch kurze Filme mit EU-Inhalt. Der erste, historisch, zeigte Szenen von der Unterzeichnung der Römischen Verträge. Der Streifen nach der blassen und emotionslosen Rede des neuen EU-Parlamentspräsidenten Antonio Tajani räumte in bester Werbemanier mit einer Reihe von Vorurteilen gegen die EU auf. Nach dem Muster: »Sie sagen: Die EU ist nutzlos - Fakt ist: Das Roaming wird abgeschafft«. Schulterklopfen in hippem Hochglanzformat.
Tiefgang brachte EU-Ratspräsident Donald Tusk, weil er persönlich wurde. Er selbst sei so alt wie die EU, die EU sei im Grunde sein Leben. Seine Heimatstadt Gdansk war im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Die Folgen des Krieges und der sowjetische Besatzung hätten ihn geprägt. Tusk sprach von der Solidarnosc-Bewegung, die in Gdansk begann und zu der er selbst gehörte, von Polens Eintritt in die EU, was damals für das Land als ein großartiger Schritt empfunden worden sei.
Tusk demonstrierte ein starkes Bekenntnis zur Einheit der EU, das ansonsten auf der Feier eher blass blieb. Davon ist auch in der Erklärung, die zum Abschluss der Feierlichkeiten unterzeichnet wurde, nicht viel zu spüren. Sie verliert sich in verwässerten Formulierungen und Zielsetzungen. Ein »Europa der zwei Geschwindigkeiten« kann mit ihr genauso gerechtfertigt werden wie ein Protest dagegen, weil alles gemeinsam gemacht werden soll.
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