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Fragen der globalen Gesundheit: Abwehr oder Vorsorge?
Die G20-Gesundheitsminister*innen vernachlässigen strukturelle Ursachen, die krank machen
Mutter-Kind-Gesundheit, Aids oder Tuberkulose: Gesundheitsthemen waren immer schon beliebt auf globalen Gipfeln. Damit lässt sich Einheit demonstrieren und mit menschenfreundlichem Engagement von einer Wirtschafts- oder Militärpolitik ablenken, die krank macht.
Im Vorfeld des diesjährigen G20-Gipfels treffen sich am 19./20. Mai in Berlin erstmals die Gesundheitsminister*innen der G20, um darüber zu beraten, ob ihre Länder ausreichend für die Abwehr von Seuchen gewappnet sind. Die verstärkte Seuchenangst infolge der Ebola-Epidemie in Westafrika 2014 hat das Thema auf die Agenda gebracht. Auch eine Trockenübung, die einen Virusausbruch in einem Fantasieland imaginiert, ist geplant. Im Fokus steht ein primär sicherheitsbezogenes Verständnis von Gesundheit, das kaum Raum lässt, auch die strukturellen Ursachen in den Blick zu nehmen, die dazu beigetragen haben, dass Ebola beste Voraussetzungen fand, sich zu verbreiten.
Ein Blick zurück: Zehntausende Menschen wurden 2014 im westafrikanischen Dreiländereck Guinea, Sierra Leone und Liberia infiziert, 11.000 starben. Was für eine zerstörerische Wirkung ein primär sicherheitsbasiertes Gesundheitsverständnis haben kann, zeigte die Reaktion der Industriestaaten auf den Ebola-Ausbruch: Gegen die Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erließen zahlreiche Staaten eigenmächtig Reisebeschränkungen; das brachte den Handel zum Erliegen und erschwerte die Behandlung der Erkrankten. Die von Ebola betroffenen Länder wurden in eine ökonomische Isolation gedrängt, von der sie sich bis heute nicht erholt haben.
Ausschluss und Ausbeutung
Die Politik von Ausschluss und Ausbeutung begann schon lange vor Ebola. Es waren Länder aus der Gruppe der G20, die mit der kolonialen Ausbeutung in Westafrika eine exportorientierte Wirtschaft aufbauten, die kein Bildungs- oder Gesundheitssystem für die Massen vorsah. G20-Länder waren es, die ein System der Ressourcenverteilung in einem Beziehungsnetzwerk der Eliten und ihrer Partner im In- und Ausland den Boden bereiteten, das bis heute wirksam ist. Sie waren es, die es ihren Unternehmen erlaubten, sich während des Bürgerkrieges am Diamantenhandel zu bereichern und damit jahrelang den Bürgerkrieg in Sierra Leone und Liberia zu alimentieren. Alle, die damals die Möglichkeit hatten, flohen – darunter auch die wenigen noch verbliebenen Gesundheitsfachleute. Und viele der G20-Staaten waren es auch, die sich viel zu spät auf eine Regulierung von Konfliktdiamanten verständigten, die noch nicht mal rechtlich bindend ist und die krankmachende Arbeitsbedingungen nicht mit einschließt.
Nach Kriegsende ermöglichten neue Handelsvereinbarungen es den internationalen Unternehmen, sich weitgehend von Steuerzahlungen zu befreien. Umweltschäden, Enteignungen und Vertreibungen werden folgenlos als kapitalistische Kollateralschäden verbucht.
Die arm gehaltenen Länder in Westafrika werden mit einer Handelspolitik, die den Abbau von Schutzzöllen und das Absenken von Steuern erzwingt und zugleich keine wirksamen Maßnahmen gegen Steuerflucht ergreift, wichtiger Staatseinnahmen beraubt. Aus eigener Kraft können sie keine funktionierenden Gesundheitssysteme aufbauen.
Die brachiale Ausbeutung von Rohstoffen wie Bauxit, Rutil, Diamanten oder Öl zerstört die Umwelt und ruiniert die Gesundheit die Arbeiter*innen in den Minen. Eine lokale landwirtschaftliche Produktion passt nicht in das Kalkül der global herrschenden Ökonomie. Die Enteignung riesiger Landflächen in Westafrika für die Produktion von Biosprit ist nur ein Beispiel dafür.
Obendrein werben die Industrienationen aus Kostengründen weiterhin gezielt Gesundheitsfachkräfte aus den arm gehaltenen Ländern ab, obwohl sie sich im Rahmen der WHO verpflichtet haben, diese Praxis endlich zu beenden. Sierra Leone gehört zu den globalen Spitzenreitern dieses Braindrain – obwohl im ganzen Land weniger Ärzte arbeiten als an der Berliner Charité.
Profit vor Gesundheit
Eine funktionierende Gesundheitsinfrastruktur ist die Basis für eine wirksame Seuchenprävention und für die Bekämpfung der Massenepidemien der Armen: Malaria, Typhus, Tuberkulose. Diese Erkenntnis ist seit Jahren da und wird doch von einer auf Profitmaximierung ausgelegten Wirtschaftspolitik torpediert.
Was auf der Tagesordnung der G20-Gesundheitsminister*innen fehlt, ist eine an den Grundbedürfnissen der Menschen orientierte Wirtschaftspolitik, die Beendigung von Freihandelsverträgen in der heutigen Form, die Einführung eines wirksamen Unternehmensstrafrechts und das Ende der Abwerbung von Gesundheitspersonal aus dem Ausland.
Um globalen Gesundheitsproblemen zu begegnen, muss auch der Kampf um menschenwürdige Lebensbedingungen und deren Verrechtlichung global verortet werden.
Anne Jung ist Gesundheitsreferentin bei der Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico international.
Internationale Fachkonferenz der Plattform Globale Gesundheit: »Abwehr oder Vorsorge – Die G20 und die globale Gesundheit«. Am 15. Mai 2017 in Berlin. Informationen zur Konferenz unter www.medico.de
Weitere Beiträge aus unserer nd-Reihe zum G20-Gipfel:
- »Hoffnung entsteht aus Rebellion« von Emily Laquer und Samuel Decker (Interventionistische Linke)
- »Fünf Gründe, in Hamburg gegen die G20 zu protestieren« von Werner Rätz (attac)
- »G20: Fight the Game, not the players« von TOP B3rlin
- »Frieden und Völkerrecht statt globalisierte NATO« von Karl-Heinz Peil (Bundesausschuss Friedensratschlag)
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- »Schuldenkrisen rechtzeitig und fair lösen« von Mara Liebal (erlassjahr.de)
- »Sturmgewehre und Sonderknast: Polizei rüstet für G20« von Ermittlungsausschuss Hamburg
- »Eine internationalistische Alternative am Hamburger Hafen« von Elio Di Muccio, Plan C, Birmingham
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