Konsensbrecher
Personalie
Beinahe ließe sich Freude bekunden darüber, dass es im Theaterbetrieb noch Menschen gibt, die sich dem dort vorherrschenden Konsens entziehen. Es brächte mehr Feuer in das Solidaritätsbekundungsgewerbe, würde inmitten all der jedem gesunden Menschenverstand einleuchtenden Moralergüsse ernsthaft debattiert, ohne rechten Rammböcken das Wort zu reden. Müssen wirklich alle Angela Merkel wegen ihrer 2015 getroffenen Entscheidung zur Grenzöffnung vergöttern? Welche Probleme bringt die durch den Westen erzeugte Fluchtbewegung für Europa? Das wären Fragen, die zur Sprache kommen könnten. Die Schauspielstätten hätte dies vor den gescheiterten Versuchen bewahrt, mit AfD-Salonrowdys wie Marc Jongen zu diskutieren.
Leider steht einer der wenigen derzeit gegen den Mainstream anrennenden Theatermenschen von Rang und Namen extrem weit rechts und hat noch nicht einmal Argumente parat. Alvis Hermanis, der hauptamtlich das Neue Theater in Riga leitet, inszeniert immer wieder als Regisseur in Deutschland und Österreich. Vor zwei Jahren ließ der heute 52-Jährige am Hamburger Thalia- Theater eine Inszenierung platzen, weil ihm die Haltung des Hauses missfiel: »Sie sehen sich als Refugees-Welcome-Zentrum. Ich will da nicht mitmachen.« Im Vorfeld seiner Inszenierung des »Parsifal« an der Wiener Staatsoper gab Hermanis der linksliberalen Tageszeitung »Der Standard« jetzt ein viel beachtetes Interview. Er freut sich, »dass meine Sicht von damals heute Regierungspolitik ist«. Und er sagt: »Die Zeitungen von Deutschland erinnern mich immer noch an die der Sowjetunion: Wenn jemand eine abweichende Meinung hat, dann wird er zum Feind.« Hier wütet also einer in der »Lügenpresse« gegen die »Lügenpresse«. Klagen über aufgedunsene Leichen, die wegen des Unwillens der EU zur Achtung der Menschenrechte an die Strände gespült werden, erscheinen ihm offenbar als sentimentales Gutmenschentum. Wünscht man sich da, Theater und Medien würden lieber mit einem halbwegs intelligenten Rechten wie Marc Jongen sprechen? Beinahe.
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