Roma protestieren für Abschiebestopp in den Balkan
Rund 100 Menschen gedachten am Welt-Roma-Tag der Verfolgung an Mitgliedern der Minderheit
Hinter einem großen Transparent mit der Aufschrift »Alle bleiben« läuft in vorderster Reihe eine Gruppe Roma. Dahinter Unterstützer, vor allem junge Menschen aus der Antira-Szene. Die winken mit Schildern mit Sprüchen wie »Erst kolonisieren, dann abschieben«. Umstehende Passanten zücken zwar ihre Handys, um den lauten Demozug zu filmen, es fallen vom Rand hinter vorgehaltener Hand jedoch auch Sprüche wie: »Bevor die alle bleiben, sollen sie erstmal Deutsch lernen.«
Rund einhundert Menschen demonstrierten am Samstag gegen Abschiebungen in sogenannte sichere Herkunftsstaaten. Sie forderten eine sichere Bleibeperspektive für Roma in Deutschland. Dazu aufgerufen hatte ein Bündnis aus zahlreichen Selbstorganisationen von Roma sowie antirassistischen Vereinen. Anlass war der internationale Roma-Tag, zu dem jedes Jahr am 8. April in zahlreichen Städten und Ländern an die Verfolgung der Roma erinnert wird. Gleichzeitig wird der Beginn der Roma-Bürgerrechtsbewegung gewürdigt, die am 8. April 1971 mit dem Welt-Roma-Kongress in London ihren Anfang nahm. Dort ersetzten Vertreter der Minderheit aus 23 Staaten unter anderem die als abwertend empfundene Bezeichnung »Zigeuner« durch die Selbstbezeichnung »Roma« und legten eine internationale Hymne und Flagge der Bewegung fest.
Nizaqete Bislimi, Vorsitzende des Bundesromaverbandes und Anwältin für Asylrecht, sieht eine zunehmend restriktivere Politik gegenüber Roma. »Ihre Asylanträge werden im Schnellverfahren abgehandelt, sie kommen in Sonderlager und werden abgeschoben. Oder man legt ihnen nahe, unter einem gewissen Druck freiwillig auszureisen.« Die sogenannte freiwillige Ausreise wird auch im Koalitionsvertrag des rot-rot-grünen Senats favorisiert, Abschiebungen sollen demnach die Ultima Ratio sein. Nach Afghanistan etwa finden von Berlin derzeit keine Rückführungen statt. Gerade in die Balkanstaaten gehen jedoch auch von der Hauptstadt aus Charterflüge mit abgelehnten Asylbewerbern.
Im Vorfeld des Welt-Roma-Tages ließen sich mehrere Politiker mit dem Slogan »RomaDay is everyday« ablichten. Tatsächlich aber gehen alltägliche Diskriminierungen gegenüber der größten Minderheit Europas oft unter. Laut der Organisation Amaro Foro, die antiziganistische Vorfälle in Berlin dokumentiert, finden diese in nahezu allen Lebensbereichen statt. Für das Jahr 2015 kam die Organisation auf rund 120 gemeldeter Fälle, wobei von einer weit höheren Dunkelziffer ausgegangen wird. Ein wichtiger Aspekt ist demnach Diskriminierung beim Zugang zu Sozialleistungen, etwa durch außergewöhnliche Verschleppung der Antragsbearbeitung, ebenso Benachteiligungen in der Bildung und auf dem Wohnungsmarkt.
Im vergangenen Jahr sprachen zum Welt-Roma-Tag vor dem Brandenburger Tor Bundespolitiker wie der Bundespräsident Joachim Gauck und die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özoğuz. Sie bekräftigten die Verantwortung, sich für Schutz und Teilhabe der Roma in allen Staaten einzusetzen. In diesem Jahr ist die Bühne vor dem Brandenburger Tor kleiner, es sprechen vor allem Aktivisten aus der Community, die die Zusicherungen der Politiker nicht eingelöst sehen.
Der Berliner Senat hat sich in seinem Koalitionsvertrag zu stärkerem Engagement gegen Antiziganismus verpflichtet, seit Anfang des Jahres ist ein Rahmenvertrag mit Selbstvertretungsorganisationen der Roma im Gespräch. Die Landesvorsitzende der LINKEN, Katina Schubert, erklärt: »Die unterschiedlichen Gruppen müssen in Berlin eine stärkere Stimme bekommen.« In den nächsten Monaten werde man mit Initiativen beraten, wie höchstmögliche Teilhabe organisiert werden
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.