Menschlichkeit hinter Stacheldraht

Gedenkstätte Sachsenhausen erhielt Erinnerungsstücke eines Überlebenden des NS-Terrors

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 4 Min.

»Herzlichsten Glückwunsch zu Deinem Geburtstage vom Josef«, steht in altertümlich verschnörkelter Schrift auf einem Kärtchen aus vergilbtem Karton. Dazu die Daten »26.X.1907 - 26.X.1942«. Der Verfasser, soviel steht fest, ist der tschechische Student Josef Dvořák, sein Adressat der Berliner Sozialdemokrat und Gewerkschafter Amandus Goldbeck. Das Außergewöhnliche an dem scheinbar so schlichten Kartengruß sind die Umstände, die die beiden Männer damals zusammengeführt hatten: Sie waren Häftlinge des NS-Konzentrationslagers Sachsenhausen, entrechtet und unter unmenschlichen Bedingungen zusammengepfercht in kargen Baracken waren sie zu Kameraden, ja Freunden geworden.

Lange fand sich Josefs Karte neben vielen Schriftstücken, Zeichnungen, Lagerbriefen, einem handgeschriebenen und -illustrierten Liederbuch und Fotos von Amandus Goldbeck im Besitz seiner Tochter Jutta. Der Vater starb 1963, da war sie 14 Jahre alt und wusste nicht viel mehr über dessen schweres Los in der Nazizeit, als dass er im Konzentrationslager Sachsenhausen war. »Der Vater hat darüber kaum etwas erzählt. Er wollte es nicht, und ich war noch zu jung, um zu begreifen, was mit ihm geschehen war, und um Fragen zu stellen.« Erst als ihre Mutter Lotte 1998 ins Heim zog, fand die Tochter den Nachlass des Vaters.

Jutta Goldbeck hat diese ganz persönlichen Erinnerungen ihres Vaters der Gedenkstätte Sachsenhausen im gleichnamigen Ortsteil von Oranienburg (Oberhavel) geschenkt. »Ich finde, es ist gerade jetzt die richtige Zeit, diese Dinge zu zeigen, da Leute Zweifel daran säen, dass es solche Lager wie Sachsenhausen tatsächlich gegeben hat«, sagte sie. »Dieser Nachlass ist ein wahrer Schatz für uns«, betonte der Sprecher der Gedenkstätte, Horst Seferens, am Montag bei der Vorstellung. Er gestatte einen Blick in den Lageralltag der Häftlinge, zeuge von Mitmenschlichkeit und Kameradschaft unter ihnen.

Eichen- und Lorbeerkränze, Blumenmotive, humoristische Lagerszenen und kalligraphisch gestaltete Verse - nach den sehr schönen und von zahlreichen Mithäftlingen unterschriebenen Glückwunschkarten, die Goldbeck im KZ Sachsenhausen zu seinen Geburtstagen erhalten hat, muss er bei seinen Kameraden sehr beliebt gewesen sein, schlussfolgerte die Sammlungsleiterin der Gedenkstätte, Monika Knop. »Die Erinnerungsstücke helfen bei der Dokumentation des Lagergeschehens und der Klärung von Einzelschicksalen«, sagte sie. »Der Erhalt dieser Nachlässe ist so wichtig, damit wir das, was in diesem Lager passiert ist, auch den folgenden Generationen vermitteln können. Das, was hier geschehen ist, darf nie in Vergessenheit geraten.«

Über Amandus Goldbeck, Häftlingsnummer 10292 Block IV B, fand sich manches im Archiv der Gedenkstätte. Der Sozialdemokrat war nach einer Widerstandsaktion des Reichsbanners in Spandau von den Nazis gefasst und vor Gericht gezerrt worden. 1936 zu einem Jahr Zuchtaus verurteilt, steckten die Nazis ihn 1937 ins KZ Sachsenhausen, weil er seine Genossen nicht an die Gestapo verraten hat. Nach Zwangsarbeit beim Barackenbau und im Klinkerwerk kam er in die Unterkunftskammer der SS-Kommandantur. »Bis zum bitteren Ende blieb er in Haft, überlebte im April 1945 den Todesmarsch, kam schließlich im Belower Waldlager frei«, so Monika Knop.

Nach der Befreiung arbeitete Goldbeck zunächst bei der Polizei in Westberlin, später in der Senatsverwaltung. Er engagierte sich in der Angestelltengewerkschaft und in seiner SPD. »Vater war sehr oft krank, und er ist früh gestorben. Aber er war mir ein guter Vater, und er hielt einmal gegebene Versprechen immer ein«, erinnerte sich seine Tochter Jutta.

Dass auch spät auftauchende Erinnerungsstücke mitunter das letzte Stück in einem größeren Puzzle sein können, zeigte sich auch im Fall Goldbeck. Durch Querverweise im Archiv konnte Josef identifiziert werden. Josef Dvořák, der Geburtstagsgratulant, war Ende 1942 aus dem KZ entlassen worden. Er ist heute 98 Jahre alt und lebt im tschechischen Olomouc. »Die Gedenkstätte steht schon länger mit ihm in Verbindung. Er erinnert sich gut an Amandus Goldbeck, seinen Freund«, sagte Monika Knop. An diesem Montag sprach Jutta Goldbeck erstmals am Telefon mit Josef Dvořák. Sie würde ihn sehr gern treffen und mit ihm über den Vater sprechen, sagt die 69-Jährige. »Es gibt noch so viel, was ich über ihn wissen will.«

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.