Sucht aus der Apotheke

Mehr Menschen von Arzneien abhängig als von Alkohol

  • Lesedauer: 2 Min.

Berlin. In Deutschland sind bis zu 1,9 Millionen Menschen von Medikamenten abhängig und damit vermutlich mehr als von Alkohol. Als alkoholabhängig gelten rund 1,77 Millionen Menschen, wie aus dem am Dienstag in Berlin vorgestellten »Jahrbuch Sucht« der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) hervorgeht.

Vier bis fünf Prozent aller verordneten Arzneimittel besitzen demnach ein erhebliches Potenzial für Missbrauch und Abhängigkeit, darunter vor allem die Schlaf- und Beruhigungsmittel mit Wirkstoffen aus der Familie der Benzodiazepine, zu denen auch Valium gehört. In den vergangenen Jahren sind die Verordnungen dieser Mittel in der Gesetzlichen Krankenversicherung zwar zurückgegangen, der Anteil der privat verordneten Mittel nahm aber zu.

Der Bremer Gesundheitsexperte Gerd Glaeske kritisierte eine »hohe Intransparenz«. Privatrezepte seien heutzutage eher die Regel als die Ausnahme. »Sie verschleiern letztlich eine kritische Arzneimittelversorgung, weil sie an keiner Stelle systematisch erfasst und ausgewertet werden«, so Glaeske.

Betroffen von diesen Verordnungen sind vor allem Menschen über 65 Jahre und davon zwei Drittel Frauen. Eine Arzneimittelabhängigkeit habe gravierende Auswirkungen auf die älteren Menschen, erklärte der Gesundheitsexperte. Die tägliche Einnahme führe bei ihnen zu immer mehr Wirkstoffmengen im Körper und damit zu unerwünschten Wirkungen wie Einschränkungen der Konzentrationsfähigkeit oder der Gangsicherheit, oft verbunden mit Stürzen und schwer heilenden Knochenbrüchen.

Intransparent sei auch die Schmerzmittelversorgung. So werden rund 150 Millionen Packungen unterschiedlichster Mittel verkauft, davon rund 70 Prozent ohne Rezept direkt in den Apotheken. Glaeske forderte eine bessere Kooperation von Ärzten und Apothekern, um den Schmerzmittelkonsum zu begrenzen. Zudem müsste die Werbung für rezeptfreie Arzneimittel mit Missbrauchspotenzial untersagt werden.

Laut dem »Jahrbuch Sucht« liegt der Pro-Kopf-Konsum beim Alkohol weiterhin auf sehr hohem Niveau. 2015 wurde mit umgerechnet 9,6 Liter reinem Alkohol ebenso viel getrunken wie im Jahr davor. Der Gesamtverbrauch an alkoholischen Getränke sank um gut ein Prozent auf 135,5 Liter pro Kopf. Der Konsum von Tabakprodukten ging dagegen zurück. 2016 wurden 7,7 Prozent weniger Fertigzigaretten konsumiert als im Jahr zuvor. Jeder achte Deutsche über 14 Jahre hat auch schon einmal E-Zigaretten probiert, die meisten aber nur einmal. AFP/nd

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