Dicht am Gegner tut’s weniger weh

Tony Cross trainiert ein Gaelic-Football-Team in München

  • René Gralla
  • Lesedauer: 5 Min.

Irlands Roy Keane, eine lebende Kickerlegende bei Manchester United, sagte mal: Das Finale im Gaelic Football sei »größer« als die WM im FIFA-Fußball. Etwas übertrieben?

Oh nein! Mit Gaelic Football wirst du quasi geboren, das ist schließlich unser Nationalsport. Um die nationale Meisterschaft wird von der Provinzebene an aufwärts gespielt. Entsprechend ist das Finale im knallvollen Dubliner Croke Park ein Riesending.

Tony Cross

Der Ball wurde ihm gewissermaßen in die Wiege gelegt: Tony Cross (40; Foto u.m.) wuchs in einer sportbegeisterten Familie auf, im irischen Limerick. Mit sechs Jahren spielte er erstmals in einer richtigen Mannschaft, heute trainiert der Betriebsmanager einer Pharmaziefirma in München ein Gaelic-Football-Team. Und er läuft auch noch selber auf im Trikot der Munich Colmcilles, die von Freunden original gälischer Leibesübungen getragen werden. Was es mit der irischen Version des Standardfußballs so auf sich hat, erzählte er nd-Autor René Gralla.

Noch ein Zitat: Nicht die katholische Konfession sei Irlands echte Staatsreligion, sondern Gaelic Football, heißt es öfter.
Für Gaelic Football, übrigens auch für andere irische Traditionssportarten wie etwa Hurling, unsere Hockeyvariante, gilt, dass du zu einer Community von Menschen unterschiedlicher Herkunft gehörst. Was wiederum einschließt, dass du im Match natürlich alles für dein Team und deine Fans gibst, weil die für dich wie eine Familie sind. Du lebst und - das ist nur ein klein bisschen übertrieben (lacht) - stirbst in deinem Club-Jersey. Also wahre Hingabe und Passion, und welche Religion kann das noch leisten?

Gaelic Football galt auch lange als politisches Symbol für die Unabhängigkeit der Republik und später für die Wiedervereinigung Irlands.
Diese Haltung ist ungebrochen! Die irische Meisterschaft wird auf der gesamten Insel ausgespielt, unter Einschluss von Ulster. Die Trennung zwischen Republik und Nordirland gibt es im Gaelic Football nicht.

Die Wähler in Nordirland lehnen den EU-Austritt mehrheitlich ab. Kann das die Gaelic-Football-Szene zusätzlich politisieren?
Zweifellos. Allerdings hängt die Wirtschaft in Ulster noch sehr stark von Großbritannien ab, und deswegen sehe ich ein Referendum zur Wiedervereinigung der Insel frühestens in fünf bis zehn Jahren.

Gaelic Football erinnert an einen Mix aus Rugby und Fußball. Außenstehende fühlen sich dabei, so jüngst ein Reporter vom Kontinent, an die schwarze Polanski-Komödie »Götter des Gemetzels« erinnert.
Ich verstehe die Leute durchaus. Obwohl natürlich auch Gaelic Football bestimmten Regeln folgt, denken Laien, dass allein kompromissloser Körpereinsatz entscheidet. Zumal Verletzungen dazu gehören, ich selber habe auch schon heftig einstecken müssen, vom Beinbruch bis zur lädierten Nase. Aber ein gälisches Sprichwort sagt: »Solange du nicht stirbst, kämpfst du weiter!«

Schmerzen darf man also als Spieler nicht kennen, oder?
Unser Sport ist tough, keine Frage. Und das ist auch die spezielle Herausforderung, wenn du eine Mannschaft trainierst. Besonders außerhalb Irlands, wie ich jetzt in München. Da musst du versuchen, die ganze Intensität des Spiels rüberzubringen.

Das Verletzungsrisiko könnte manche abschrecken.
Verstehst du das Spiel, brauchst du keine Angst zu haben. Und: Immer nahe an den Gegner ran, bei reduziertem Abstand tut es weniger weh.

Sie beschränken sich trotz Ihrer 40 Jahre nicht allein aufs Coachen, sondern punkten unverdrossen für Ihr Team. Wie schaffen Sie das?
Früher spielte ich auf hohem Level, und davon profitiere ich bis heute. Ich kann gegnerische Spielzüge gut voraussehen und die Situationen adäquat einschätzen. Das hilft mit 40 Jahren. Außerdem ist unser Sport wie eine Sucht; Gaelic Football aufzugeben, das ist schwer.

Trotz aller Blessuren?
Ja, klar! Du hast hart trainiert im Winter, unter fiesen Bedingungen, im Regen und im Matsch. Und im Sommer fährst du zur Meisterschaft. Du willst gewinnen. Und holst du den Sieg, ist das die Sache wert gewesen. Und nach dem Spiel wird gefeiert, du bist von Mannschaftsgeist durchdrungen. Wer denkt da an Blessuren?

Freunde fürs Leben also. Bei ähnlichem Einsatz im normalen Fußball wäre man vielleicht Millionär, doch Gaelic Football kennt kein Profis.
Richtig. Doch ich sage Ihnen: Käme plötzlich Geld ins Spiel, ginge die Seele des Spiels wohl verloren. Ich bin mit Gaelic Football aufgewachsen, übrigens auch mit Hurling. Jeden Abend haben wir trainiert, schlossen uns einem Club an. So wurden wir gleichzeitig Teil der Gemeinde, von der ich bereits sprach, sozusagen einer größeren Sache als nur ein Netzwerk. Das kann man nicht kaufen.

Die Gier würde die Gemeinschaft zerstören?
Das befürchte ich. Dennoch, auch Gaelic Football steht da inzwischen an einem Scheideweg. Es reift nämlich die Frage heran, ob Sportler, die auf überregionaler Ebene spielen, nicht doch bezahlt werden sollten.

Welche sportlichen Voraussetzungen muss man mitbringen, um mit Gaelic Football zu beginnen?
Du musst keine speziellen sportlichen Talente haben. Spaß am Spiel ist wohl das Wichtigste. Bist du heiß darauf, dir den Ball zu schnappen, wird sich der Rest ergeben.

Irischer Nationalsport seit 1527

Fußball ist nicht gleich Fußball. Die eigenwilligen Iren haben schon früh eine eigene Ausgabe entwickelt. In den Statuten von Galway wird Gaelic Football 1527 zum ersten Mal erwähnt. Aus den wilden Anfängen, die von Zeitgenossen mehr als zügellose Balgereien beschrieben wurden, formte schließlich die 1884 gegründete Gaelic Athletic Association (GAA) einen Leistungssport nach festem Regelwerk.

Zwei Teams aus jeweils 15 Spielern (darunter ein Torwart) kämpfen um Tore und Punkte. Denn die »Scoring Spaces« sind zweigeteilt: Mindestens sieben Meter lange Pfosten, die in 2,50 Meter Höhe verbunden werden durch eine Querstange, markieren darunter das eigentliche Tor. Landet der Ball in diesem Bereich, zählt das als »Goal« (Wert: drei Punkte), fliegt der Ball darüber, aber noch zwischen den Torpfosten ein, bringt das immerhin noch einen Punkt.

Der Ball darf mit jedem Körperteil gespielt werden. Auch das sehr kurzfristige Tragen per Hand ist zulässig, freilich maximal vier Schritte beziehungsweise vier Sekunden. Soll ein Pass nicht mit dem Fuß ausgeführt werden, muss der Ball mit der Faust oder der offenen Hand geschlagen (nicht: geworfen) werden. Auf diese Weise kann durch Fausten auch ein Tor erzielt werden. gra

Infos zu Gaelic Football in Deutschland: www.germangaa.de,

Gaelic Football bei den Munich Colmcilles: www.munichgaa.de

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