Macron auf dem Weg in den Élysée

Unabhängiger Kandidat bekommt in der Stichwahl Unterstützung von unterlegenen Konkurrenten

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 5 Min.

Auch wenn das Ergebnis nicht ganz überraschend kam, ist der erste Wahlgang der Präsidentschaftswahl am vergangenen Sonntag doch eine Umwälzung in der politischen Landschaft Frankreichs. Für die Stichwahl am 7. Mai haben sich der liberale Emmanuel Macron und die rechtsextreme Marine Le Pen qualifiziert - und damit zwei Politiker, die sich als »Anti-System-Kandidaten« präsentierten. Ihre Gegenspieler von den beiden großen Parteien, den rechtsbürgerlichen Republikanern (LR) und den Sozialisten (PS), wurden damit bereits aus dem Rennen geworfen.

Damit ist erstmals seit Gründung der 5. Republik im Jahr 1958 die bürgerliche Rechte nicht in der Stichwahl um das Präsidentenamt vertreten. Republikaner wie auch Sozialisten konzentrieren jetzt alle Anstrengungen auf die Parlamentswahlen im Juni und hoffen dabei jeweils auf eine Mehrheit in der Nationalversammlung, um die Regierung stellen und dem neuen Präsidenten eine »Cohabitation« (Aktive Koexistenz) aufzwingen zu können. Selbst wenn dies gelingen sollte, hat die Wahl vom Sonntag deutlich gemacht, dass LR und PS als Parteien eine gründliche Erneuerung brauchen, um nicht zu zerfallen und damit in der Bedeutungslosigkeit zu versinken.

Die rechtsextreme Front National erreichte dagegen mit einer Million Wählerstimmen mehr als 2002 zum zweiten Mal die Endrunde der Präsidentschaftswahl. Demgegenüber will der 39-jährige Macron, der erst vor einem Jahr mit seiner Bewegung »En marche« (Unterwegs) die politische Bühne betreten hat, über die bisherigen Grenzen zwischen Rechts und Links hinweg und mit unbelasteten Anhängern aus der Zivilgesellschaft die verkrusteten Strukturen aufbrechen und »Politik auf eine ganz neue Art« machen.

Dem vorläufigen Endergebnis zufolge wurden für Macron 23,86 Prozent der Stimmen abgegeben und für Le Pen 21,43 Prozent. Knapp hinter ihnen scheiterten der konservative François Fillon mit 19,94 Prozent und der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon mit 19,62 Prozent der Stimmen. Bei der letzten Präsidentschaftswahl 2012 hatte Mélenchon 11,1 Prozent erzielt. PS-Kandidat Benoît Hamon landete mit nur 6,35 Prozent weit abgeschlagen. Die Wahlbeteiligung war mit rund 78 Prozent nur geringfügig schlechter als bei der letzten Präsidentschaftswahl 2012, aber deutlich besser als 2002 - seinerzeit waren mehr als 28 Prozent der Wahlurne ferngeblieben.

Während Fillon und Hamon noch am Wahlabend zur Unterstützung Macrons im zweiten Wahlgang aufriefen, um Le Pens Griff zur Macht zu verhindern, wollte sich Mélenchon noch nicht festlegen. Die FN-Parteivorsitzende rief ihre Anhänger zur Mobilisierung aller Kräfte auf, um diese »erste Etappe auf dem Weg zum Élysée« zu vollenden und das »System« abzulösen. Sie lag in 18 000 der 36 000 Gemeinden des Landes vorn, Macron nur in 7000, dafür aber in Paris und anderen Großstädten. Le Pen hatte ihre größten Erfolge auf dem flachen Land sowie in den durch eine Strukturkrise und hohe Arbeitslosigkeit geschwächten Regionen im Norden und Nordosten sowie an der Mittelmeerküste, wo viele ehemalige Algerien-Siedler ein großes rechtsextremes Wählerreservoir bilden.

Dagegen votierten für Emmanuel Macron vor allem mittlere und höhere Angestellte, Freiberufler mit Hochschulabschluss, gut integrierte Franzosen ausländischer Herkunft sowie Menschen, die offen für Europa sind und optimistisch in die Zukunft blicken können. »Frankreich ist künftig nicht mehr in Rechts und Links geteilt, sondern in Oben und Unten«, brachte es ein Kommentator auf den Punkt.

Am Wahlabend dankte Macron den Millionen Wählern, die für ihn votiert haben, und allen Politikern, die aufgerufen haben, ihm im zweiten Wahlgang ihre Stimme zu geben. Für ihn sei das eine große Verantwortung und Herausforderung. »Das Volk hat sich geäußert«, sagte er. Jetzt gelte es, diesen Sieg beim zweiten Wahlgang zu vollenden, um »im politischen Leben eine neue Seite aufzuschlagen« sowie »Frankreich und Europa zu verändern«. Dafür stehe vor ihm die Aufgabe, seine Anhängerschaft zu verbreitern und möglichst viele Franzosen zu sammeln. Er wolle ein »Präsident der Patrioten« sein, der sich der »Gefahr durch die Nationalisten entgegenstellt«.

Obwohl Macrons Rede schon klang wie die eines gewählten Präsidenten, ist doch noch nichts entschieden und eine böse Überraschung nicht völlig auszuschließen. Nur 850 000 Wählerstimmen trennten die beiden Favoriten im ersten Wahlgang. Alles hängt jetzt davon ab, wie es den beiden Kandidaten gelingt, Reserven zu mobilisieren. Unmittelbar nach Bekanntgabe der Ergebnisse des ersten Wahlgangs hat das Meinungsforschungsinstitut IPSOS in einer repräsentativen Umfrage ermittelt, dass 62 Prozent der Franzosen, die am 7. Mai voraussichtlich wählen gehen, für Emmanuel Macron und 38 Prozent für Marine Le Pen stimmen wollen. Dasselbe Verhältnis ergab sich bei der Befragung der Mélenchon-Wähler, während die Hamon-Wähler zu 78 Prozent für Macron votieren wollen. Von den Fillon-Wählern wollen 48 Prozent mit ihrer Stimme Macron unterstützen und 33 Prozent Le Pen. Die restlichen 19 Prozent wollen von dem neuen Recht Gebrauch machen, »blanc« (weiß) zu stimmen - also einen leeren Umschlag in die Urne zu werfen. Diese Stimmen werden neuerdings extra ausgewiesen, während man sie früher den ungültigen Stimmen zuschlug.

Den erfolgreichen Wahltag beendete Emmanuel Macron dann allerdings mit einem Fauxpas: Dass er mit seinen Beratern am Abend in eine für diesen Zweck komplett reservierte Gaststätte im Pariser Viertel Montparnasse zog, um den Sieg zu feiern, erinnerte viele Anhänger peinlich an die Feier von Nicolas Sarkozy am Abend seines Wahlsiegs 2007 im Pariser Nobellokal »Fouquet’s«.

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