Gewalt und Gemütlichkeit
Die neue Staffel der TV-Serie »Fargo«
»Fargo« zu schauen, ist wie nach Hause zu kommen: Schon die erste Staffel schaffte zweierlei - zum einen durch formale und ästhetische Zitate eine Verbindung zum Originalfilm der Coen-Brüder von 1996 herzustellen, wodurch nostalgische Vertrautheit entsteht. Zum anderen bedienen sich sowohl der Film als auch die Serie - neben der Gewalt und dem Wahnsinn - bei den Elementen des Heimatfilms. Land und Leuten werden also prinzipiell Sympathien entgegengebracht. Film und Serie verwenden zudem viel Energie darauf, die kleinen Riten der Gemütlichkeit ihrer Protagonisten zu zeigen. Das Besondere und Widersprüchliche ist, dass sich diese Empathie auch auf die Mörder und Psychopathen bezieht. Die bevölkern diesen »skandinavisch« erscheinenden mittleren Westen im US-Staat North Dakota ebenso zahlreich wie ehrbare Handwerker, schweigsame Trucker und unbestechliche Polizistinnen.
Film und Serie betören zunächst durch beeindruckende Natur, durch die liebenswürdige Betrachtung schräger oder extra normaler Menschen und die beruhigende Monotonie einer funktionierenden, ihre Bewohner scheinbar schützenden Kleinstadtgemeinde - auch wenn es hier durchaus fiese Ehepartner gibt. Umso schockierender und mitreißender ist dann der Prozess, bei dem Schutz und Schönheit weggerissen werden. Durch Kleinigkeiten ausgelöste Katastrophen schlagen dann blutige Schneisen durch die genussreiche und oft Kaffee trinkende Community.
Am Anfang der Staffeln stehen kurze, kryptische, mit der Haupthandlung scheinbar nicht verbundene Episoden, die wohl den Tenor des jeweiligen Abschnitts setzen sollen. Die zweite Runde stieg ein mit einer absurden Szene am Set eines Films über ein Massaker an Indianern - die Ureinwohner-Statisten warten vergeblich auf den Hauptdarsteller: Ronald Reagan. Bei der aktuellen dritten Staffel steht eine skurrile Verhörsituation in der DDR am Anfang: Einem angegrauten Berliner Häftling wird vom Stasi-Offizier auf den Kopf zugesagt, er sei ein 20-jähriger ukrainischer Mörder. Punkt. Weitere Erklärungen oder Verteidigungen überflüssig. Schließlich suche man hier »die Wahrheit und keine Geschichten«, so der Offizier. Bei solch irrationalem und apodiktischem Behörden-Verhalten denkt man natürlich auch an Franz Kafkas »Der Prozess«.
Die dritte Staffel ist gut gespielt, hervorragend geschrieben, visuell eigenwillig, die erste Episode ist vielversprechend. Etwas merkwürdig erscheint zunächst, dass die drei (uramerikanischen) Protagonisten von Briten dargestellt werden. Das macht aber nichts, wenn die Schauspieler das Kaliber von Ewan McGregor und David Thewlis haben. Der Schotte McGregor füllt in beeindruckender Weise die Doppelrolle eines verfeindeten Brüderpaars aus und Thewlis gibt als Mafia-Gesandter eine der gruseligsten Rollen seiner Karriere.
Allerdings kommt die Geschichte, und das ist sicher so gewollt, zunächst langsam, fast quälend in Gang, Geduld ist vonnöten, bevor sich die Fratze des Wahnsinns aus der idyllischen und behüteten Schneelandschaft erhebt: Zentraler Handlungsstrang ist die Fehde zwischen den Brüdern Emmit und Ray Stussy (beide McGregor). Emmit hat ein Vermögen mit Parkplätzen gescheffelt, während sich Ray als Bewährungshelfer mit Kleinkriminellen herumschlagen muss. Nun will Ray seinen Teil vom Kuchen und spannt zur Durchsetzung seiner Forderung jene beruflichen Bekanntschaften ein - was eine fatale Kettenreaktion in Gang setzt.
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