Angekündigte Absage in Israel
Opposition in Israel sieht »gefährlichen Konfrontationskurs« von Premier Netanjahu
»Es wäre ein bemerkenswertes Ereignis«, sagte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel am Dienstag bereits im Morgenmagazin des ZDF. »Es ist bemerkenswert«, sagte nahezu zeitgleich Jitzhak Herzog, Chef der »Zionistischen Union« (ZU), einem Parteienbündnis aus Sozialdemokraten und Liberalen: »Es dürfte noch nicht vorgekommen sein, dass die Regierung einem Vertreter eines wichtigen Partnerlandes über die Medien ein Ultimatum stellt.«
Weil Gabriel vorhabe, sich während seines Besuchs in Israel auch mit Vertretern der Menschenrechtsorganisationen B’Tselem und Schowrim Schtikah (Breaking the Silence) zu treffen, erwäge Netanjahu, ein geplantes Treffen abzusagen, hatte der öffentlich-rechtliche Sender Arutz 2 Montagabend gemeldet.
Kurz darauf verschickte das Presseamt der Regierung den Terminplan Netanjahus: Ein Treffen mit Gabriel tauchte darin nicht auf. Unklar war indes, ob Gabriels Team direkt informiert wurde; im ZDF gab sich der Außenminister ahnungslos: »Ich kann mir das fast nicht vorstellen, weil es außerordentlich bedauerlich wäre.«
Schowrim Schtikah dokumentiert Berichte von Soldaten, in denen dem Militär Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten vorgeworfen werden. B’Tselem erstellt vor allem Berichte über die Auswirkungen der Besatzung. Immer wieder nutzt die israelische Staatsanwaltschaft das Material der beiden Organisationen, um Anklage gegen Militärangehörige und Siedler zu erheben.
Doch für viele israelische Rechte sind sie vor allem »Linksradikale, die Israel von innen heraus zerstören wollen«, so Justizministerin Ajelet Schaket. Die derzeitige Regierung, die von der Siedler-Lobby und extremen Rechten dominiert wird, hat sich deshalb schon vor Jahren auf die beiden Gruppen eingeschossen. Per Gesetz wurde verfügt, dass Organisationen auf allen Außenkommunikationen angeben müssen, wenn sie Zuwendungen von ausländischen Regierungen erhalten, Betroffen sind vor allem linke Organisationen, während rechte Gruppen vor allem Finanzspritzen von ausländischen Privatpersonen erhalten. Auch Aktivitäten an Schulen und Universitäten würde man den Linken gerne verbieten, darf es aber auf Anordnung des Obersten Gerichtshofes nicht - der Meinungsfreiheit wegen.
Bei der Opposition sorgten am Dienstag indes vor allem die Bemühungen einiger Regierungsmitglieder für Aufsehen, Gabriel als Antisemiten und Israel-Feind darzustellen. So verwies die stellvertretende Außenministerin Tzippi Hotovely - Außenminister ist Netanjahu, der das Amt aber nicht aktiv wahrnimmt - darauf, dass Gabriel 2012 nach einem Besuch in Hebron, wo wenige hundert israelische Siedler mit massivem Militärschutz inmitten von gut 200 000 Palästinensern leben, erklärt hatte: »Das ist für Palästinenser ein rechtsfreier Raum. Das ist ein Apartheid-Regime, für das es keinerlei Rechtfertigung gibt.«
Mit seinen Treffen mit den linken Organisationen habe Gabriel nun »eine rote Linie« überschritten, so Hotovely. Doch tatsächlich ist vor allem bei Jugendlichen das Interesse an der Arbeit der Menschenrechtsorganisationen stark gestiegen. Lehrerverbände berichten, das Bedürfnis der Schüler nach Informationen über die Hintergründe des Konflikts sei groß.
Nach Ansicht von ZU-Chef Herzog ist das ein »gefährlicher Konfrontationskurs«. Es sei der bislang dramatischste in einer langen Serie von Schritten, mit denen die diplomatischen Beziehungen Israels beschädigt werden: »Es ist ein schwerer Schlag für unsere Beziehungen zur größten europäischen Volkswirtschaft und zu einem echten Freund Israels.«
Jair Lapid, Vorsitzender der Zukunftspartei, sagte, er halte den Ärger Netanjahus zwar für nachvollziehbar, nicht aber den Stil, zumal schon seit einiger Zeit erkennbar sei, dass die Bundesregierung wegen der Siedlungspolitik auf Distanz gehe. So wurden die für Mai geplanten Regierungskonsultationen verschoben. In Israel wird vermutet, dies sei wegen der rückwirkenden Genehmigung von Siedlungen im Februar erfolgt.
Zehawa Gal-On, Vorsitzende der linksliberalen Meretz und ehemalige Chefin von B’Tselem erklärte, Netanjahu habe Gabriels Reisepläne »erfolgreich durchkreuzt«. Statt über eine Rückkehr an den Verhandlungstisch werde nun über die Treffen gesprochen: »Ein echter Freund Israels müsste nun sehr deutlich sagen, was er davon hält.«
Eine Forderung, die auch der deutsch-israelische Mosche Zimmermann stellt: »Eine Grenze ist erreicht, wenn Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Redefreiheit und die Vertretung von Menschenrechten beiseite geschoben werden«, sagte er der Deutschen Presseagentur: »Die deutsche Politik muss Farbe bekennen.«
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