Fünfter Abschiebeflug nach Kabul
25 000 Asylbegehren aus Afghanistan in drei Monaten abgelehnt - Kritik an Asylpraxis hält an
Diesmal startete der Flieger von München aus. An Bord waren 14 Männer, die am Montag nach Kabul ausgeflogen wurden. Rund 60 Menschen fanden sich am Flughafen ein, um dagegen zu demonstrierten. Sie konnten zwar auch den fünften Abschiebeflug nach Kabul seit Dezember nicht aufhalten - insgesamt wurden seitdem 107 Afghanen außer Landes gebracht. Doch die nicht abebbenden Einsprüche von Menschenrechtsorganisationen und ihren Unterstützern zeigen, dass eine Gewöhnung an der Abschiebepraxis in das kriegszerrissene Land nicht stattfindet.
Auch Pro Asyl kritisierte die neuerliche Sammelabschiebung. Günter Burkhardt griff das Bundesinnenministerium ungewohnt heftig an. Der Geschäftsführer von Pro Asyl warf dem Ministerium vor, die Faktenlage beiseitezuschieben und weiter die »Mär von angeblich ›sicheren‹ Regionen« zu verbreiten, was sich dann auch in den Entscheidungen des Flüchtlingsbundesamtes wiederfinde. »Die individuellen Fluchtgründe von AfghanInnen in den Asylverfahren werden dort in hohem Maße missachtet«, beklagte er. Seit dem Rücknahmeabkommen mit der afghanischen Regierung steigt die Zahl der abgelehnten Asylbescheide an. Allein von Januar bis März erhielten fast 25 000 Geflüchtete aus Afghanen einen negativen Bescheid.
Nach Angaben des bayerischen Innenministeriums kamen sieben der diesmal Abgeschobenen aus Nordrhein-Westfalen, drei aus Bayern und je einer aus Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen und Rheinland-Pfalz. Unter ihnen befand sich auch Obaidullah Disan, der nach eigenen Angaben sieben Jahre in Deutschland gelebt hatte. Er sagte, Beamte hätten ihn von seinem Arbeitsplatz in einem Fastfood-Restaurant in München abgeholt und drei Tage in Abschiebehaft genommen. Disan stammt aus der östlichen Provinz Kunar, einer der vielen Krisenregionen im Land. Das Büro der Vereinten Nationen (OCHA) registrierte unlängst in 26 der 34 Provinzen Afghanistans Vertreibungen aufgrund von Kampfhandlungen zwischen Regierungskräften und den Taliban, und das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) konstatierte im Dezember, dass mittlerweile das gesamte Staatsgebiet Afghanistans von dem innerstaatlichen Konflikt betroffen sei.
Die Bundesregierung hält ihrerseits aber an der Einschätzung fest, dass die Sicherheitslage in Afghanistan regional sehr unterschiedlich sei, wie sie auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag antwortete. Es gebe durchaus Regionen, »in denen die Lage ausreichend kontrollierbar und für den Einzelnen vergleichsweise ruhig und stabil ist«, hieß es.
Aus diesen gegensätzlichen Beurteilungen der Sicherheitslage am Hindukusch zog die rot-grüne Landesregierung in Schleswig-Holstein unlängst ihre eigenen Schlüsse und stoppte als bisher einziges Bundesland die Abschiebungen nach Afghanistan. Innerhalb der Sozialdemokraten ist das jedoch umstritten. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) zollte gegenüber den »Kieler Nachrichten« der Haltung von Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) zwar Respekt, betonte aber zugleich: »Wenn wir das als einzige in Europa machen, dann werden wir erleben, dass nur noch bei uns Asyl beantragt wird.«
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.