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Die »Frankfurter Küche« wird aufgemöbelt

Hängeschränke, Schütten für Zucker und Mehl, eingelassene Spüle - das Museum für angewandte Kunst Frankfurt/Main restauriert einen Schatz

  • Thomas Maier, Frankfurt/Main
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Anruf kam vor etwa einem Jahr. Die Angehörigen einer im Alter von 93 Jahren gestorbenen alten Dame wollten eine »Frankfurter Küche« abgeben. Christian Dressen vom Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main überlegte nicht lange, als er in einer Siedlung in Frankfurt-Bornheim einen Blick auf das aus dem Jahr 1929 stammende Exemplar werfen konnte. »Es war ein großer Glücksgriff, weil an der Küche kaum etwas verändert worden ist«, sagt der Restaurator.

Sogar das alte, gusseiserne Spülbecken - weiß emailliert - ist noch vorhanden. Seit Monaten arbeitet nun der 43-Jährige in seiner Museumswerkstatt die Küche auf - von den Hängeschränken mit Schiebetüren über Beschläge bis zu den Wandfliesen und Fußbodenplatten. Mit Spezialwerkzeug wird die alte Farbe der Schränke sorgfältig gesäubert. Die aus Aluminium bestehenden Schütten - das sind in die Schränke eingelassene Schubfächer für Vorräte von Zucker bis zu Kartoffelmehl - werden mit Lösemitteln gereinigt. Wichtig dabei ist aber, dass die Gebrauchsspuren weiterhin zu sehen sind, wie Restaurator Dressen betont.

An der »Frankfurter Küche«, 1926 von der Innenarchitektin Margarete Schütte-Lihotzky (1897-2000) entworfen, war jedes Detail ausgeklügelt. Wegen der modularen Bauweise gilt sie als erste serienmäßig gefertigte Einbauküche der Welt. Auf wenigen Quadratmetern sollte für die Hausfrau alles schnell greifbar sein. Geschirr konnte neben der Spüle abtropfen. Es gab ausziehbare Arbeitsflächen und ein zusammenklappbares Bügelbrett, das an der Wand montiert war. Aus ökonomischen Gründen hatten die Schränke keine Rückwände - die konnte ohnehin niemand sehen.

Küchen bestanden in Deutschland bis in die 1920er Jahre traditionell aus Einzelmöbeln. Mit dem »Neuen Bauen« kam das Umdenken. Die aus Wien stammende Schütte-Lihotzky arbeitete in Frankfurt am Main mit dem Städteplaner Ernst May zusammen, der zu den wichtigsten Reformarchitekten der Weimarer Republik gehörte. In der hessischen Großstadt entstanden zwischen 1925 und 1930 knapp 15 000 städtische Wohnungen in zwei Dutzend Siedlungen, die oft als kleine Reihenhäuschen mit durchdachten Querschnitten erschwinglichen Wohnraum im Grünen bieten sollten.

Die »Frankfurter Küche«, von der es unterschiedliche Ausführungen gab, wurde zwischen 1928 und 1932 ungefähr 10 000 mal gebaut. Die meisten Teile dazu lieferten Firmen aus dem Rhein-Main-Gebiet. Den Bau der Schütten ließ sich die Frankfurter Firma Haarer, die später nach Hanau übersiedelte, sogar patentieren.

Noch bis vor wenigen Jahren sind die »Frankfurter Küchen« - von den Bewohnern im Lauf der Jahrzehnte oft modernisiert und irgendwann ausrangiert - am Ende auf den Sperrmüll gewandert. Inzwischen sind sie zu wertvollen Sammlerobjekten geworden, auch für Museen. Das Werkbundarchiv Berlin (»Museum der Dinge«) und das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg besitzen »Frankfurter Küchen«. In Frankfurt am Main gibt es ein Exemplar im Ernst-May-Haus in der Römerstadt. Dort kann jeder auch sehen, wie beengt es damals in einer solchen Küche (und Häuschen) war.

Das Museum Angewandte Kunst will bei seinem Objekt aber auch den Küchenboden, der aus Solnhofener Muschelkalkplatten besteht, restaurieren. Die berühmten Natursteine aus dem Altmühltal werden dazu in Modulen mit einem Holzwerkstoff unterlegt. Dressen hat bereits damit begonnen. Wenn die Küche dann in die ständige Ausstellung kommt, soll das Konstrukt helfen, den Parkettboden im edlen Museumsbau zu schonen.

Den strahlend weißen Kubus am Sachsenhäuser Mainufer hat 1985 der US-amerikanische Stararchitekt Richard Meier gebaut. Im ersten Stock ist in der Abteilung »Elementarteile« bereits ein Platz für die »Frankfurter Küche« reserviert. Dort wird das Exemplar vom Bornheimer Hang gleich neben Sitzmöbel-Klassikern von Philippe Starck und Charles Eames stehen.

Die Küche ist auch als wichtiger Teil für eine Sonderschau über die »Moderne am Main« eingeplant. Die hat das Museum für das Bauhaus-Jahr 2019 terminiert. Die Aufmöbelung der Küche will Dressen aber schon im Laufe dieses Jahres beenden, wie er sagt. Er hat noch einiges zu tun - derzeit ist der einzige Restaurator im Haus. dpa/nd

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