Karlsruhe wird beim BKA-Gesetz ignoriert
Die Reform der Bestimmungen zum Bundeskriminalamt ist verfassungsrechtlich bedenklich
Im April 2016 hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière eine schwere Niederlage erlitten. Damals erklärte das Bundesverfassungsgericht, dass das BKA-Gesetz in Teilen verfassungswidrig sei und überarbeitet werden müsse. Die Überwachungsmaßnahmen, welche die Koalition dem Bundeskriminalamt eingeräumt hatte, gingen zu weit. »Vorbeugend zur Abwehr schwerer Straftaten« wurde die Telefon- und Onlineüberwachung, das Installieren von Spähsoftware auf Computern und die verdeckte Überwachung von Wohnungen ermöglicht.
Die Karlsruher Richter bemängelten unter anderem, dass das Gesetz weder den Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung noch den Schutz von Berufsgeheimnisträgern gewährleiste. Zudem wurde die oftmals fehlende richterliche Kontrolle beanstandet.
Nun soll der Bundestag am Donnerstag die Reform des BKA-Gesetzes beschließen. De Maizière meinte kürzlich, er habe die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt. »Datenaustausch und Datenschutz werden mit diesem Gesetz versöhnt«, sagte der CDU-Politiker. Er will den Informationsfluss zwischen den Polizeibehörden in Europa und zwischen Bund und Ländern verbessern. Das BKA und alle Polizeibehörden sollen auf eine große neue Datenbank zugreifen können. Von besonderem Interesse sind Daten, die durch den Einsatz verdeckter Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren durch den internationalen Terrorismus erlangt wurden.
Allerdings haben Oppositionspolitiker und Experten erneut verfassungsrechtliche Bedenken. So sieht die Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder (DSK) unverhältnismäßig weitreichende Datenspeicherungen. Nach dem Gesetz sollen etwa alte Speicherungen – auch zu Personen, die lediglich im Verdacht standen, eine Straftat begangen zu haben und nicht verurteilt wurden – bei jedem neuen Speicheranlass ungeprüft weiter fortgeschrieben werden. Dafür soll es schon genügen, wenn die betroffene Person als Zeuge oder Kontaktperson erneut in Erscheinung tritt.
Am Dienstag war zudem bekannt geworden, dass die Bundesärztekammer (BÄK) de Maizière sowie weitere Innenpolitiker des Bundestages in einem Brief aufgefordert hat, den Gesetzentwurf nachzubessern und Ausnahmeregelungen für Ärzte bei den Überwachungsmaßnahmen zu schaffen. »Die Verschwiegenheitspflicht im Patient-Arzt-Verhältnis darf durch das BKA-Gesetz nicht infrage gestellt werden«, teilte BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery mit. Wenn ihre Patienten überwacht werden, könnten auch die Ärzte betroffen sein. Montgomery warnte vor verdeckten Eingriffen in die Systeme einer Praxis oder eines Krankenhauses. Diese würden zu erheblichen Beeinträchtigungen der Geheimhaltungsinteressen der Patienten führen.
Der Innenausschuss hatte am Dienstagnachmittag mit den Stimmen von Union und SPD gegen das Votum der LINKEN und der Grünen für den Entwurf gestimmt. Nach dem Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt im vergangenen Jahr, bei dem zwölf Menschen getötet wurden, ist auch ein schärferes Vorgehen gegen sogenannte Gefährder in das Gesetz eingeflossen. Die betroffenen Personen sollen durch elektronische Fußfesseln präventiv überwacht werden. Voraussetzung hierfür ist, dass die Sicherheitsbehörden ihnen zutrauen, einen Anschlag zu begehen.
Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, hatte kritisiert, dass die allermeisten »Gefährder« Personen seien, denen keine Straftat vorgeworfen wird. Ihre Einstufung als potenzielle Terroristen erfolge allein durch die Polizei, aufgrund vager Kriterien, die von Gerichten nicht geprüft werden.
Nach Einschätzung des Grünen-Abgeordneten Konstantin von Notz handelt es sich bei dem geplanten Einsatz von elektronischen Fußfesseln um einen »unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte«. Zudem hat die Vergangenheit gezeigt, dass dieses Instrument keine Terroranschläge verhindern kann. Ein Islamist, der im Sommer vergangenen Jahres in Nordfrankreich einen Priester getötet hatte, trug eine elektronische Fußfessel.
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