Von der Leyen räumt »Haltungsproblem« bei Bundeswehr ein
Verteidigungsministerin kritisiert nach dem jüngsten Skandal »falsch verstandenen Korpsgeist« / Künftige Sicherheitsüberprüfung angekündigt
Berlin. »Haltungsproblem«, »Führungsschwäche«, »falsch verstandener Korpsgeist« - Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ist nach dem jüngsten Bundeswehr-Skandal hart mit den Verantwortlichen ins Gericht gegangen. Sie räumte am Wochenende im »ZDF« strukturelle Probleme in der Bundeswehr ein und kündigte weitere Aufklärung an. SPD-Vize Ralf Stegner warf seinerseits der Ministerin »Führungsversagen« vor.
»Die Bundeswehr hat ein Haltungsproblem und sie hat offensichtlich eine Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen«, sagte von der Leyen am Sonntag in der ZDF-Sendung »Berlin direkt«. Sie kritisierte auch »falsch verstandenen Korpsgeist«, der dazu führe, dass kritische Informationen nicht weitergegeben würden.
Anlass für die Äußerungen ist der Fall des am Mittwoch festgenommenen Oberleutnants Franco A., der sich monatelang als syrischer Flüchtling ausgegeben hatte und offenbar einen Anschlag plante. Medienberichten zufolge soll A. eine Liste mit möglichen Anschlagsopfern geführt haben. Darauf standen offenbar auch Politiker wie die Berliner Abgeordnete Anne Helm. Am Wochenende war bekannt geworden, dass der Bundeswehr schon seit 2014 Hinweise auf eine rechtsextreme Gesinnung des Offiziers vorlagen, die aber nicht zu Konsequenzen führten.
Die in Frankreich geschriebene Masterarbeit von Franco A. enthielt »ganz klar völkisches dumpfes Gedankengut«, sagte dazu von der Leyen. Dies sei auch damals aufgefallen, doch »dann hat man das Ganze schöngeredet« und nicht in die Personalakte aufgenommen und auch nicht dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) gemeldet.
Von der Leyen hatte nach anderen Vorfällen in den vergangenen Monaten bereits eine Untersuchung eingeleitet. Die Bundeswehr müsse »sehr genau gucken, wer ist bei uns und wen wollen wir nicht bei uns haben«, sagte sie dem Sender. »Was nicht akzeptiert werden kann, ist politischer Extremismus oder religiös motivierter Extremismus.«
Nach Einschätzung des Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels (SPD) ist die Bundeswehr »strukturell anfälliger« für Rechtsextremismus als andere Bereiche der Gesellschaft. »Hierarchien, Waffen und Uniformen« zögen manchen Bewerber an, den die Bundeswehr eigentlich nicht haben wolle, sagte er der »Welt am Sonntag«. Deshalb würden ab Juli alle neuen Soldaten einer Sicherheitsprüfung unterzogen; so könnten bereits auffällig gewordene Nazis oder Islamisten leichter erkannt und abgewiesen werden.
Die verteidigungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Christine Buchholz, kritisierte den Umgang der Bundeswehr mit Rechtsextremismus. Rechtsradikale Taten würden oftmals als Taten Einzelner dargestellt, mögliche Verstrickungen in Netzwerke und Organisationen der extremen Rechten bagatellisiert, sagte sie der »WamS«.
Von der Leyen stellte ihrerseits auch einen Zusammenhang her zu den Vorfällen in der Kaserne Pfullendorf, wo es sexuelle Übergriffe im Rahmen der militärischen Ausbildung gegeben hatte, sowie in zum Fall Sondershausen, wo es ebenfalls Verfehlungen durch Ausbilder gab. Auch dort hätten von den Missständen viele gewusst und »weggeschaut«. »Wenn wir tiefer graben, sehen wir, dass wir an die Strukturen ran müssen«, hob die Ministerin hervor.
SPD-Vize Stegner beklagte, von der Leyen wolle sich mit ihren Vorwürfen an die Truppe aus der eigenen Verantwortung stehlen. »Wer nach drei Jahren im Amt über ein breites Führungsversagen in der Bundeswehr klagt, der klagt sich selbst an«, sagte er dem »Tagesspiegel«. Stegner beklagte, die Ministerin wolle sich mit ihren Vorwürfen an die Bundeswehr aus der Verantwortung stehlen. »Frau von der Leyen hätte ausreichend Zeit gehabt, um die Missstände abzustellen«, sagte er dem Blatt. »Das ist nicht akzeptabel. Das Führungsversagen bei der Bundeswehr beginnt bei der Ministerin selbst.« Agenturen/nd
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