Leitkulturlos
Uwe Kalbe über de Maizières Katalog zur Abendlandnormierung
Zehn Gebote einer deutschen Leitkultur hat sich Innenminister de Maizière ausgedacht, und dass es ausgerechnet zehn sind, ist eine schön hingezirkelte Pointe für einen christlichen Glaubensbruder. Doch gerade deshalb ist der Vorstoß eben das - ein Vorstoß, das Gegenteil eines Angebots zum Austausch. De Maizière beansprucht die Hoheit über kulturelle Normierung. Die gibt es aber nur juristisch, die entsprechende Werteordnung findet sich im Grundgesetz. Kulturelle Normen können sich nur historisch durchsetzen, im ständigen Austausch und durch mehrheitliche Anerkennung.
»Wir geben uns die Hand« ist ein allzu kleines Einmaleins unseres Zusammenlebens, zu dem de Maizières Gleichgesinnte sein Regelwerk nun erheben möchten. Schon Höflichkeit ist Definitionssache und typisch deutsch ist sie schon gar nicht. Auch die Verordnung von Kirchtürmen als ästhetische Norm ist das Gegenteil dessen, was freiheitliche Toleranz so gern in belehrendem Ton von Muslimen fordert.
De Maizière schließt aus seiner konservativen Welt nicht nur andere Konservative aus, nämlich strenggläubige Muslime, sondern auch Geister anderer politischer Couleur, religionskritische oder muslimkritische sogar. De Maizière erfüllt seine Mission zur Bewahrung des Abendlandes schlecht, er ahnt womöglich gar nicht, dass ein Mindestmaß an Leitkulturlosigkeit geradezu Voraussetzung ist für ein gedeihliches Leben in diesem Land. Typisch deutsch muss nach allen Seiten offen sein. Alles andere ist Diktat, alles andere ist Burka.
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