Weiter, weiter
Bernd Zeller über Politiker, die nicht aufhören können, und solche, die zwar nicht wollen, aber müssen
Unser heutiger Bericht befasst sich mit der Ankündigung des bayerischen Regierungs- und Parteichefs Horst Seehofer, auch über das Jahr 2018 hinaus der Horst Seehofer zu bleiben, den wir kennen, nämlich Regierungs- und Parteichef in Bayern. Er selbst hatte es zwischenzeitlich so aussehen lassen, als wolle er teilweise aufhören. Sogar von Verzicht war die Rede, als ob in der Politik jemand auf irgendetwas freiwillig verzichten könnte. Nun hat er, wie es nur in einer Demokratie möglich ist, seinen Kurs den Notwendigkeiten angepasst.
Damit erfüllt er eine wichtige Forderung, die zumeist nach unglücklichen und häufig von Verwirrten durchgeführten Vorkommnissen erhoben wird, nämlich so weiterzumachen wie bisher. Wenn schon wir alle wie gewohnt weitermachen sollen, kann man es von Spitzenpolitikern und anderen Volksvertretern erst recht verlangen. Seehofer demonstriert zugleich einen Politikwechsel, der die Kanzlerin interessieren dürfte. Unter Kohl waren potenzielle Nachfolger weg, sobald sie diesbezügliche Ambitionen entwickelten, unter Merkel, sobald sie da waren. Obwohl Markus Söder seit Jahrzehnten der neue Strauß werden will, darf er unter Seehofer weitermachen.
Seehofer ist bereits der zweite wichtige Politiker, der das Signal der Kontinuität setzt, nach Angela Merkel mit ihrer Bekanntmachung, Kanzlerin und CDU-Vorsitzende zu bleiben, mithin sozusagen auch Co-Chefin von Seehofer. Sie hat ihre Verantwortung erkannt, nicht nur Durchhalteparolen auszugeben, sondern diese persönlich vorzuleben.
Für die Wähler bedeutet beides ein ersehntes Zeichen für Stabilität; man kann wieder auf Jahre disponieren. Nach Merkel und Seehofer wird einmal die jetzige Epoche benannt, und sie dauert an. Auch Journalisten können ihre bewährten Artikel vom »Störfeuer aus München« oder mit der Metapher des als Bettvorleger gelandeten Tigers weiter verwenden, ohne sich etwas Neues ausdenken zu müssen, das bei den Lesern möglicherweise auf Unverständnis treffen könnte.
Auch Konsumenten von Journalismus schätzen Verlässlichkeit, etwa bei der Frage, ob man wirklich in schwierigen Zeiten diejenigen wiederwählen soll, die sie zu verantworten haben. Die herrschende Meinung in der Presse lautet: ja. Denn die haben die Kompetenz, es nicht noch schlimmer werden zu lassen. Und die Presseorgane, die das nicht schreiben, kriegen keine exklusiven Verlautbarungen von den wichtigen Politikführungskräften, sind also nicht so wichtig und ihre Leser auch nicht.
Die Politiker sind volksnah, aber eben nur nah und nicht das Volk selbst, sonst könnten sie ja kaum ihren Führungsanspruch begründen. Und Journalisten mögen es, wenn sie sich mit den Leuten, über die sie schreiben, schmücken können. Daher hätte man es ebenfalls gern gehabt, wenn Präsident Obama weitergemacht hätte, aber der durfte nicht. Man sieht, auch ein Präsidialsystem kann die Macht des Amtsinhabers begrenzen.
Der noch amtierende französische Präsident macht ebenfalls nicht weiter, der wollte am Ende nicht. Neuer wird ein gewisser Monsieur Macron. Er ist jung, frisch und Absolvent einer Eliteschmiede. Sozusagen das Gegenteil von Martin Schulz, der immerhin mal selbstständig war, bis er merkte, dass er beim Staat gebraucht wird, und das ist der deutsche Traum. Macron verkörpert den französischen Traum: so viel Geld zu verdienen, dass man seine Familie nicht mit Scheinbeschäftigungsverhältnissen versorgen muss. Seine Frau ist 25 Jahre älter als er, aber offenbar hat ihr das noch niemand gesagt. Dieses Präsidentenpärchen wird den Generationenvertrag verkörpern, der für den gesellschaftlichen Zusammenhalt so wichtig ist. Dagegen steht Schulz für die Kontinuität, am Wahlabend zu verkünden, dass man einen tollen Wahlkampf gemacht habe und das Nötige am nächsten Tag in den Gremien besprechen werde.
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