»Notruf 111 Cybercrime« gegen Internetkriminelle

Industrievertreter fordert auf Konferenz mehr Hilfe gegen Angriffe aus dem Netz

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Auf den Glasfenstern des ehemaligen Staatsratgebäudes am Schloßplatz in Berlin blasen noch immer Rosa Luxemburg und Karl Luxemburg zum Angriff auf die Bourgeoisie, doch heutzutage residiert am Schloßplatz Nummer 1 die private »European School of Management and Technology«. Am Mittwoch und Donnerstag berieten hier 200 Experten aus der Wissenschaft, Industrie und den Sicherheitsbehörden, wie besser gegen Cyberkriminalität vorgegangen werden kann.

83.000 Fälle von Cyberkriminalität hat es 2016 in Deutschland gegeben. Doch diese Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik geben nur einen kleinen Teil der Aktivitäten von Cyberkriminellen im Internet wieder, sagt Markus Koths. Der Leiter der »Gruppe Cybercrime« beim Bundeskriminalamt (BKA) meint, die Zahlen zeigten nur einen Bruchteil des Problems, weil die Kaperung tausender Computer durch einen Hacker nur als ein Fall erfasst wird. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) dagegen geht von mehr als 14,7 Millionen Fällen für 2016 aus. Und die Dunkelziffer ist noch viel höher, weil Verbraucher Angriffe nicht bemerken oder Unternehmen diese nicht anzeigen. Die Polizeibehörden müssten deswegen »cyberfähiger werden«, sagt BKA-Präsident Holger Münch.

Es gäbe nur 360 echte Cyber-Experten in Deutschland, erklärt Sandro Gayken vom Digital Society Institute. Er sieht Unternehmen im hoch industrialisierten und IT-gesättigten Deutschland in einem »Krieg um Talente«. Dabei sei Kooperation viel besser als Konkurrenz. Und Unternehmen und Polizeibehörden können dabei durchaus Erfolge vorweisen: Nach einem Hackerangriff auf Modems der Deutschen Telekom im November vergangenen Jahres wurde schon im Januar ein mutmaßlich verantwortlicher Brite am Londoner Flughafen festgenommen.

Trotzdem sei der Schaden durch Cybercrime in Deutschland groß und nicht alle Unternehmen gut vorbereitet, meint der Sicherheitsforscher. 50 Millionen Euro Schaden für 2016 hat das BKA ermittelt, es könnten bis zu 1,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sein, sagt Gayken mit Verweis auf eine US-Studie. Viele Unternehmen seien nicht gut vorbereitet, weil der »Basisgrundschutz« durch Anti-Virenprogramme im Normalfall nur 40 bis 70 Prozent aller möglichen Attacken abdecke, in einigen Bereichen sogar nur ein Zehntel. Cyberkriminalität werde heute nicht mehr vom »Nerd im Keller« durchgeführt, sondern von international operierenden innovativen Gruppen, die einen »kriminellen Markt« geschaffen hätten und immer mehr Bereiche des Internets, Personen und Produkte angriffen, die früher keine Ziele von Hackerangriffen waren.

Wenn etwa Produktionsanlagen von Hackerangriffen betroffen sind, habe das »ganz physische Folgen«, sagt Klaus Mittelbach, Vorsitzender des »Zentralverband Elektrotechnik und Elektronikindustrie« (ZVEI). Laut einer Umfrage unter den 2000 Mitgliedsunternehmen des Verbands haben 54 Prozent aller Unternehmen noch keine Sicherheitsprüfung ihrer IT-Infrastruktur durchgeführt. ZVEI-Chef Mittelbach wünscht sich deswegen eine »111 Notruf Cybercrime« - eine einheitliche Meldestruktur für von Cybercrime betroffene Unternehmen und Bürger. Doch leider sei das Thema Cybercrime kein Wahlkampfthema bedauert Mittelbach.

Mehr Befugnisse für die Ermittlungsbehörden wünscht sich hingegen Emily Haber, Staatssekretärin im Bundesinnenministerium. Man müsse die Polizeibehörden »dazu befähigen, Verschlüsselung zu umgehen«, im »Rahmen des Rechts« selbstverständlich. Dazu will sie »noch in dieser Legislaturperiode« gesetzliche Grundlagen für die »Quellen Telekommunikationsüberwachung« (TKÜ) schaffen. Bei dieser werden Computer und Smartphones von Verdächtigen mit einem »Staatstrojaner«-Programm überwacht. Außerdem auf der Wunschliste von Haber und BKA-Chef Münch: Ein neuer Straftatbestand der Datenhehlerei und eine »Ausweitung« der Vorratsdatenspeicherung. Die tritt zum 1. Juli wieder in Kraft.

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