Der Giro 2017 wird ein Spektakel
An diesem Freitag starten die Radprofis zur 100. Auflage der Italienrundfahrt, das geplante Klassement des schnellsten Abfahrers wird es nach Protesten nicht geben
»Gorilla« André Greipel macht Jagd auf das Rosa Trikot, Bergfloh Nairo Quintana fordert Titelverteidiger Vincenzo Nibali alias »Der Hai von Messina« heraus: Der am Freitag beginnende 100. Giro d’Italia verspricht ein tierisches Spektakel. Doch der Unfalltod von Ex-Champion Michele Scarponi und die zu unverantwortlichem Leichtsinn neigenden Organisatoren werfen einen Schatten auf die große Stiefel-Runde.
»Ziel ist, eine Etappe zu gewinnen. Der Giro ist eine der größten Rundfahrten, es wäre schön, dort unter den Etappensiegern zu sein«, sagte Greipel vor dem Auftakt auf Sardinien. Der 34 Jahre alte Rostocker ist mit sechs Tagessiegen vor Rudi Altig und Marcel Kittel (beide je vier Tagessiege) ohnehin schon erfolgreichster Deutscher der Giro-Geschichte. Die Chance für Greipel, seinen Vorsprung auszubauen, ist groß: Kittel fehlt bei dem Jubiläumsrennen, konzentriert sich wie andere Topsprinter (Peter Sagan, Mark Cavendish, Alexander Kristoff) auf die Tour de France.
Und die Aussicht ist sogar noch verlockender: Mit einem Sieg zum Auftakt am Freitag, wenn es in Olbia wohl zum Massensprint kommt, würde Greipel erstmals in seiner Karriere das Leadertrikot einer großen Rundfahrt übernehmen. Beim Giro hatte Kittel das Rosa Trikot im Vorjahr als siebter und bislang letzter Deutscher für einen Tag getragen.
Abseits von Greipel dürfte der deutsche Einfluss diesmal gering bleiben: Nur drei weitere BRD-Profis gehen an den Start, dabei schielt Simon Geschke (Team Sunweb) auf einen Überraschungscoup wie bei seinem Touretappensieg 2015. »Ich bin guter Dinge, was meine Form angeht«, sagt der 30-Jährige.
Um den Gesamtsieg dürfte es nach dem Verletzungs-Aus von Fabio Aru vor allem zwischen dem Kolumbianer Quintana (Movistar) und Italiens Vorjahressieger Nibali (Bahrain-Merida) gehen. Quintana hatte den Giro 2014 gewonnen und in den folgenden Jahren für einen (letztlich verpassten) Tourerfolg auf einen Start verzichtet.
»Die Strecke ist richtig hart, vor allem mit den Bergen der letzten Woche. Der stärkste Kletterer wird siegen«, sagt Quintana - dieser dürfte der schmächtige Kolumbianer sein, das weiß auch Nibali, der sich deswegen zurückhaltend gibt: »Ganz oben zu stehen, wird schwer. Wenn das nicht möglich ist, werde ich eben um Platz zwei oder drei kämpfen.«
Im Vorjahr hatte Nibali den Giro noch für das kasachische Astana-Team gewonnen, dem gleich drei seiner einstigen Top-Fahrer fehlen. Nibali ist abgewandert, Kapitän Fabio Aru fehlt verletzt. Ihn sollte eigentlich Michele Scarponi ersetzen, doch der Sieger von 2011 kam am 22. April bei einem Trainingsunfall ums Leben. Die Lücke im Team wird sichtbar sein: Scarponi zu Ehren bleibt einer von neun Startplätzen frei, die Kasachen treten nur mit acht Fahrern an. »Das wird nicht die einzige Aktion sein, mit der wir an Michele erinnern wollen«, sagte Astanas Generalmanager, Alexander Winokurow. Der Giro wird im Gedenken an Scarponi ausgetragen, die Stimmung dadurch ein wenig melancholischer und gedrückter als gewohnt.
Auch die Organisatoren folgen dem schließlich, nachdem sie sich kurz vor dem Rennen noch zu einer irrsinnigen Idee hatten hinreißen lassen: Der schnellste Abfahrer sollte gekürt werden - sechs Jahre, nachdem der Belgier Wouter Weylandt einen Sturz bei einer solchen Abfahrt mit dem Leben bezahlen musste, und unter dem Eindruck von Scarponis Tod. Nach zahlreichen Protesten ruderten die Veranstalter am Mittwoch zurück und strichen das Raser-Ranking. Doch auch ohne Extrawertung sind die zahlreichen Schussfahrten des 100. Giro d’Italia gefährlich genug. SID/nd
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