Klopf, klopf. Horch, Storch!

  • Andreas Gläser
  • Lesedauer: 3 Min.

Heute zum Feierabend fahren Jan und ich mit der Bahn und dem Bus von Lichtenberg nach Schmachtenhagen; raus aus unserer Millionenstadt, rein in den Zweitausend-Seelen-Ort, der hat einen Kletterpark und einen Kindergarten sowie einen Männerchor und eine Mäusefarm. Schmachtenhagen soll zwar noch ein Teil von Oranienburg sein, der befindet sich aber schon wieder ziemlich weit draußen, nicht nur von Berlin aus.

Wir werden dort anreisen wie unsere Ahnen, die in den Zeiten der Not bei den Bauern einigen Krempel gegen Nahrung tauschen wollten. Es wird so aussehen, als ob wir unsere Gitarre und das Saxophon gegen Fleisch, Obst und Gemüse ersetzen möchten. Doch wir haben dort einen Auftritt im »Gasthof Niegisch«, in dem an den Wänden schon genügend Posaunen und Trompeten montiert sind. Eigentlich trifft das auf den ganzen Ort zu: überall Instrumente, ob in der alten Schule oder im königlichen Forsthaus; da hängen die Flöten aus Friedrichshain und die Tuten aus Treptow an den Wänden herum. In der Hauptstadt gibt es dafür überall Litschis aus Lychen und Möhren aus Malchow.

Nein, wir werden nichts tauschen, auch nichts kaufen; wir wollen nur unseren Kulturbeitrag leisten und ein wenig die Hirne der Einheimischen streicheln. Damit sie sich an uns erinnern, wenn hier Krieg ist. Wir werden Jans sozialkritische Lieder bringen, in denen es unter anderem heißt: »Hass, Hass, Hass / hasse ma ne Mark.« Neulich wollte ich dazu einen Saxophon-Part erfinden und habe in der Wohnung ein bisschen improvisiert, worauf der Mieter unter mir im falschen Takt an die Decke klopfte. Deswegen werde ich in Schmachtenhagen bei dieser Gitarrengesangsnummer mit dem Saxophon ziemlich danebenliegen.

Immerhin haben die Häuser dort nicht so viele Stockwerke, als dass da jemand von unten klopfen könnte, und falls doch, so lässt man da keinen Fremden wohnen. Ich glaube auch, dass man im Umland bei einer Meinungsverschiedenheit nicht an Wände klopft, sondern in Visagen. Allerdings habe ich dort noch keinen ernsthaften Streit erlebt. Und wenn jemand anklopft, ist das neuerdings der Storch. Klopf, klopf. Horch, Storch!

Wie soll man sich als Berliner verhalten? Auf jeden Fall werden Jan und ich nach unserem Auftaktstündchen den Darbietungen der anderen Kreativlinge aus nah und fern lauschen: Wolv und Lisa, Martini und Tetzel sowie der Trink- und Singgemeinschaft. Musik, Musik, Musik. Wir werden mitsingen, bei englischen Texten, die wir nicht verstehen, und bei deutschen Texten, die wir nie unterschreiben: »Wo willst du hin?! / Wo willst du hin?! / Mensch, was willst du in Berlin?!«

Schmachtenhagen ist gefährlich, denn zu vorgerückter Stunde kosten die Schnäpse nichts und sie landen im Rachen wie der Regen auf der Glatze. Wir bleiben Lebenskünstler. Heute Schmachtenhagen, Sonntag Hamburg, Mittwoch Barcelona.

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