1,8 Quadratmeter Hamburg für G20-Inhaftierte
Wer im Juli beim Gipfeltreffen der 20 wichtigsten Industrie-und Schwellenländer in Polizeigewahrsam gerät, muss sich auf unangenehme Umstände einrichten
Zuerst die gute Nachricht: Wer im Juli bei den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg in Polizeigewahrsam gerät, hat nicht mit folterähnlichen Bedingungen zu rechnen. Denn die »Unterbringung« orientiert sich laut Hamburger Senat an den »Standards der Hafträume der bayerischen Polizei anlässlich des G7-Gipfels in Elmau« im Jahr 2015 – und die seien von der Länderkommission der Nationalen Stelle zur Verhütung der Folter »begutachtet (…) und als angemessen bewertet« worden.
Aus der Senatsantwort auf eine Anfrage der Bürgerschaftsabgeordneten Christiane Schneider und Sabine Boeddinghaus (LINKE) geht aber hervor, dass in Gewahrsam genommene Gipfelkritiker sich durchaus auf einen unangenehmen Aufenthalt in der Hansestadt einrichten müssen. Insgesamt 400 Haftplätze sollen in einem derzeit ungenutzten Großmarkt im Stadtteil Harburg in Containern eingerichtet werden, im Medienberichten ist die Rede von 150 Plätzen in Einzel- und 250 in Sammelzellen.
Das scheint freilich nicht zu stimmen. Laut offizieller Antwort auf die Anfrage der beiden Linkspolitikerinnen sind in der Harburger »GeSa« nämlich nur 70 Sammelzellen und 50 Einzelzellen vorgesehen. Bei 400 Ingewahrsamnahmen würde das bedeuten, dass sich in den Sammelzellen mit einer Grundfläche von jeweils neun Quadratmetern bis zu fünf Personen drängen. Auf einen Gefangenen kämen dann 1,8 Quadratmeter – auf einer »über eine gesamte Zellenbreite gehenden fest montierten Sitzbank«. Die Einzelzellen mit einer Fläche von 3,28 Metern sollen Gefangenen vorbehalten bleiben, gegen die schwerere Vorwürfe erhoben werden, Standard sei die Sammelunterbringung.
Christiane Schneider, Innenexpertin der Hamburger Linksfraktion, übt scharfe Kritik: »Sie müssen auf einer Pritsche sitzen und können über einen Türspion beobachtet werden. Bis zu einer richterlichen Entscheidung kann es maximal 48 Stunden dauern. Mit richterlicher Anordnung kann ein sogenannter Unterbindungsgewahrsam bis zu zehn Tage angeordnet werden«. Es könnten also Menschen unter solchen Bedingungen »präventiv für die gesamte Zeit des G20-Gipfels festgehalten werden«. Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus erinnert daran, dass viele Gefangene womöglich noch sehr jung sein könnten – und warnt vor »gesundheitlichen Beeinträchtigungen«.
Eine »generelle (…) Nachtruhezeit« ist nicht vorgesehen. Die Haftcontainer sollen zwar klimatisiert sein und über eine »dimmbare« Beleuchtung, Rauchmelder und eine Notrufeinrichtung verfügen, zu sanitären Anlagen müssen Gefangene aber von Polizisten geführt werden. Nahrung und Getränke soll es spätestens nach sechs Stunden Aufenthalt geben, warmes Essen nach zwölf Stunden. Zudem sollen in der Großmarkthalle Räume für Richter und Staatsanwälte eingerichtet werden, die dort wohl in 24-Stunden-Schichten arbeiten sollen; auch für Rechtsanwälte soll die nötige Infrastruktur entstehen. Sollte die Kapazität der Harburger Sammelstelle nicht ausreichen, werde man »ad hoc« auf weitere »Unterbringungsmöglichkeiten« möglicherweise auch außerhalb Hamburgs zurückgreifen, nach denen die Polizei derzeit Ausschau halte.
Einsitzen könnten in dieser oder anderen Sammelstellen nicht nur Demonstranten, sondern auch Personen ohne festen Wohnsitz. Dies hatte Falko Droßmann, Leiter des Bezirksamts Hamburg-Mitte, kürzlich angekündigt und Obdachlosen nahegelegt, zumindest für die Dauer des Gipfels die Stadt ganz zu verlassen. Gegenüber »nd« kritisierte Katja Kipping den SPD-Politiker dafür scharf: »Droßmann agiert zynisch und menschenverachtend gegenüber Wohnungslosen. Für einen Sozialdemokraten sind seine Vorschläge beschämend«, sagte die Bundesvorsitzende der Linkspartei. »Menschenrechte gelten nicht nur für Anzugträger mit Eigentumswohnung, sondern für MieterInnen und Wohnungslose. Droßmanns Säuberungskurs zeigt, welcher Geist vor dem G20-Gipfel herrscht.« Wenn Droßmann keine Wohnungslosen in Hamburg sehen wolle, solle er sich »für bezahlbaren Wohnraum und eine bessere Situation von Wohnungslosen einsetzen, beispielsweise durch die Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen bei Kosten für die Unterkunft.«
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