Aushängeschild
Personalie
Mit seinem Rücktritt von allen politischen Ämtern verliert die Österreichische Volkspartei (ÖVP) einen ihrer Fleißigsten; Reinhold Mitterlehner blieb so gut wie keiner Ministerratssitzung fern. Sein Credo und seine größte Sorge galten dem Wirtschaftsstandort Österreich. Mitterlehner vereinte in sich wirtschafts- und kulturliberale Positionen, er war ein gläubiger Marktwirtschaftler und setzte sich gleichzeitig auch für Rechte sexueller Minderheiten ein.
Als gelernter Jurist wuchs er politisch im ÖVP-Wirtschaftsbund auf, dem er zwischen 1992 und 2000 vorstand. Die Struktur der ÖVP kennt drei starke Bünde, aus denen sich die Parteimitglieder weitgehend rekrutieren. Neben dem Wirtschaftsbund sind das der Bauernbund und der Österreichische Arbeiter- und Angestelltenbund. Mitterlehners vergleichsweise große Distanz zur katholischen Amtskirche war für einen ÖVP-Parteiobmann ungewöhnlich. Selbst bezeichnete er sich als Christ, wollte die liberalkonservative Partei aber nicht als verlängerten Arm der Kirche verstanden wissen.
Der 1955 im oberösterreichischen Mühlviertel geborene Mitterlehner begann seine ÖVP-Karriere als Bürgermeister eines kleinen Dorfes, wurde im Februar 2000 in den Nationalrat gewählt und übernahm 2008 das Wirtschaftsministerium, später auch das Wissenschaftsministerium, bevor er im Herbst 2014 ÖVP-Parteichef und Vizekanzler in der Regierung Werner Faymann wurde.
Sein Rücktritt am Mittwoch geriet zu einer beinharten Abrechnung mit seiner Partei, die auch als Revanche für viele Kränkungen interpretiert werden kann. Zuletzt kämpfte er vergeblich darum, den politisch weit rechts stehenden ÖVP-Innenminister Wolfgang Sobotka los zu werden.
Ziemlich direkt machte der scheidende Parteiobmann die Struktur der ÖVP für sein Scheitern verantwortlich. Diese besteht aus drei teilweise gegeneinander arbeitenden Bünden und neun Landesgruppen. Sein mutmaßlicher Nachfolger, Außenminister Sebastian Kurz, meinte noch am Dienstag , er wolle die ÖVP »in diesem Zustand« nicht übernehmen.
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