Flucht nach vorn im Minenfeld

Nolens volens bohrt Ursula von der Leyen jetzt dicke Bretter - mit unklarem Ausgang

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Jahr 2005 schlug General Heinz Trettner seine letzte Schlacht. Er unterzeichnete das Manifest »Gegen das Vergessen« des »Instituts für Staatspolitik«, jener rechten Klitsche, von der jüngst wieder viel zu hören ist. Es ging gegen Verteidigungsminister Peter Struck (SPD). Der wollte den Fliegeroffizier Werner Mölders als Namenspatron ausmustern. Das war kühn, war doch der Zerstörer »Werner Mölders«, Stolz der Marine und 1968 von dessen Mutter getauft, gerade erst außer Dienst.

Mölders, 1941 verunglückt, war ein Postergesicht der Wehrmacht. Doch war sein Andenken von einem Brief geprägt, in dem er sich von Hitler distanzierte. Dass dieser eine britische Fälschung war, wurde hierzulande lange ignoriert. Doch Trettner erregte sich ohnehin nicht etwa darüber, dass hier ein Geläuterter missverstanden werde. Sein Geschichtsbild verdeutlichte er 1997 anlässlich der Hamburger Wehrmachtsausstellung: Der Angriff auf die UdSSR sei ein »Präventivkrieg« gewesen.

Jener Trettner war in den 1960ern Generalinspekteur der Bundeswehr. Als oberster Soldat folgte er Adolf Heusinger, der sich noch mit Hitler über Karten geneigt hatte - und Friedrich Foertsch, der als Generalleutnant seinerzeit das infernalische »Trommelfeuer« auf das eingeschlossene Leningrad befehligt hatte. Bis 1983 waren alle Generalinspekteure der Bundeswehr frühere, teils hochdekorierte Wehrmachtsoffiziere.

Nun war nicht jeder von diesen unverbesserlicher Nazi. Und diese Weiterverwendung, die es im geringeren Maß auch in der DDR gab, war zumindest anfangs unumgänglich: Andere Offiziere gab es nicht. Doch verdeutlicht der Rückblick, wie folgerichtig sich in Kasernen immer wieder Wehrmachtsdevotionalien finden - mal in offiziöser Musealisierung, mal »wild«, als scheinbar unpolitische Landserromantik. Und zuweilen gibt es dann eben auch die Ideen zum Stahlhelm. Die - laut »Spiegel« - »paar Kanallien«, die sich an derlei »aufgeilen«, haben Tradition. In seinen prägenden Jahrzehnten war ausgerechnet das Militär ein Bereich, in dem der Bruch mit der »Vorgängerinstitution« vage blieb: Wenn etwa in Rostock-Laage ein Fliegergeschwader und in Berlin eine Kaserne nach General Johannes Steinhoff heißt, steht mit dem einstigen Chef des NATO-Militärausschusses stets der Oberst von Görings Luftwaffe im Raum - und damit die Kontinuität zur Wehrmacht. Wenn die Verteidigungsministerin jetzt sagt, dieselbe sei »in keiner Form traditionsstiftend für die Bundeswehr«, ist das keine Feststellung, sondern ein Projekt.

Ursula von der Leyen bleibt in der Affäre um die rechtsmilitanten Nachwuchsoffiziere nur die Flucht nach vorn. Und das inmitten eines Minenfelds: Man wirft ihr einerseits mangelnde Wachsamkeit vor - und zugleich soll sie mit ihrer Kritik an der »Haltung« der Truppe anständige Soldaten beleidigt haben. Stehenbleiben kann sie nicht, doch ist jeder Schritt gefährlich. Denn Themen wie Truppentradition und politische Führung sind einerseits sehr dicke Bretter - und andererseits so empfindlich wie rohe Eier.

Zum Ende ihrer - ersten? - Amtszeit ist das eine ernstliche Herausforderung für die Ministerin. Bisher hatte sie zur Hauptsache zwei Projekte verfolgt, die zwar ambitioniert waren, aber nicht allzu kontrovers: Dass sie mit ihrer Staatssekretärin versucht, das filzige Beschaffungswesen zu reformieren, mag bei Truppe und Waffenindustrie manchen geärgert haben, war aber kein Aufreger. Dass sie das Militär »familienfreundlicher« machen will, ließ Uniformierte auflachen, sorgte aber nicht für substanziellen Widerstand. Jetzt geht es um die »Ehre« von Leuten, die sie in Lebensgefahr bringt.

Ihre Karriere hat Ursula von der Leyen sehr verändert. Die kühle Schneidigkeit, die sie heute auszeichnet, hat sie sich erst in reiferem Alter zugelegt. Zuvor war sie laut der jüngst erschienenen Biografie von Peter Dausend und Elisabeth Niejahr eine privilegierte Großbürgertochter, die zunächst ziellos herumstudierte und noch mit Mitte 30 die Babysitter von den Eltern bezahlt bekam. Trainiert hat die Frau, die in der deutschen Politik zugleich den Rekord im Busseln von Filmstars hält, diese Chuzpe nicht zuletzt als Sozialministerin - in der Durchsetzung des »Bildungspakets«. Dessen hochmütiger Grundgedanke, arme Kinder vor ihren Eltern zu retten, verhalf ihr zu einem Markenkern patenter Strenge. Seinen handwerklichen Fehlern aber ist sie flugs in ein anderes Ministerium enteilt.

Diese Flüchtigkeit ist das zweite Charakteristikum ihrer Karriere: In jedem der Merkel-Kabinette bekleidete von der Leyen einen anderen Posten. Doch damit scheint es, will sie keine Degradierung hinnehmen, nun vorerst vorbei. Auch deshalb wird die Ministerin ihr jetzt so forsch verkündetes Ansinnen, den Geist der Truppe zu reformieren, nicht mit einem flotten Zehnpunkteplan oder dergleichen »erledigen« können, den dann andere umsetzen müssen.

Die Reichweite ihrer Ankündigung kann die Ministerin auf der Homepage ihres eigenen Hauses studieren: »Er lebte Standhaftigkeit im Dienst und bei seinen Entscheidungen«, preist man dort jenen General Trettner, der zumindest im Alter zu rechtsradikalen Thesen neigte. Und seine Bundeswehrkarriere erscheint dort als vollkommen bruchlose Fortsetzung seiner Wehrmachtslaufbahn.

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