Mesale Tolus Familie wird Zugang verwehrt
Bundesregierung wirft Türkei Verletzung eines internationalen Übereinkommens vor
Berlin. Die Bundesregierung fordert Zugang zu einer in der Türkei inhaftierten deutschen Journalistin und Übersetzerin. »Für uns ist es wichtig, dass wir uns um sie als deutsche Staatsangehörige kümmern können«, sagte der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, am Freitag in Berlin. Es sei »bedauerlich«, dass die Türkei ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung nicht nachgekommen sei, die deutsche Seite unverzüglich über Tolus Verhaftung zu informieren und eine konsularische Betreuung zu ermöglichen. Die Bundesregierung habe nicht von türkischer Seite von diesem Haftfall gehört, sondern aus anderen Quellen. Die türkischen Behörden hätten damit das Wiener Übereinkommen für konsularische Beziehungen verletzt.
Mesale Tolu, die für die linksgerichtete Agentur Etha arbeitet, war am 30. April von einer Antiterroreinheit festgenommen worden. Ein Richter erließ Haftbefehl wegen Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer Terrororganisation. Seit dem 6. Mai sitze sie im Istanbuler Frauengefängnis. Laut Etha befindet sie sich in einer Zelle mit zwei weiteren Inhaftierten. Vorübergehend sei sie aus Protest gegen ihre Verhaftung in Hungerstreik getreten. Nur ihre Anwälte stünden in Kontakt zu ihr.
Laut Auswärtigem Amt sind aktuell sechs deutsche Staatsbürger in der Türkei in U-Haft oder in Polizeigewahrsam. Vier von ihnen besitzen außerdem die türkische Staatsbürgerschaft. Zu ihnen gehört »Welt«-Korrespondent Deniz Yücel.
Wie das regierungskritische türkische Nachrichtenportal Diken berichtete, ist Tolu im Zuge eines Einsatzes gegen Mitglieder der Sozialistischen Partei der Unterdrückten (ESP) und deren Jugendorganisation SGDF festgesetzt worden. Bei der Razzia, die im Vorfeld möglicher Proteste zum 1. Mai stattgefunden hatte, seien 16 Menschen in Polizeigewahrsam genommen worden.
Der Familie der Übersetzerin wird, so ihr Bruder Hüseyin Tolu, der Zugang verwehrt. »Wir dürfen sie nicht sehen, wir dürfen keine Besuche machen«, sagte er in Ulm dem Regionalsender Radio 7.
Grünen-Chef Cem Özdemir forderte die Freilassung Tolus. Dem RedaktionsNetzwerk Deutschland sagte er, die Bundesregierung müsse »mit Nachdruck« auf der Haftentlassung Tolus bestehen, da diese ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft besitze. Der Deutsche Journalisten-Verband forderte ebenfalls, Tolu sofort auf freien Fuß zu setzen.
Am Freitag wurde der Online-Chefredakteur der Zeitung »Cumhuriyet« in Istanbul festgenommen. Die türkische Staatsanwaltschaft fordert lange Haft für 19 »Cumhuriyet«-Mitarbeiter, von denen zwölf teilweise seit November in U-Haft sitzen.
Fast zehn Monate nach dem Putschversuch in der Türkei sind indes bei landesweiten Razzien gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger innerhalb der Istanbuler Börse 57 Verdächtige festgenommen worden. Die Agentur Anadolu meldete am Freitag, beim Einsatz in sechs Provinzen werde nach weiteren 45 Verdächtigen gefahndet. Agenturen/nd
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.