Die Revitalisierung der Gewerkschaftsbewegung

In der Mobilisierung gegen den G20-Gipfel steckt die Chance, neue Mitstreiter für alltägliche Kämpfe zu gewinnen

  • Timo Reuter und Marvin Hopp
  • Lesedauer: 8 Min.
G20 Hamburg – Die Revitalisierung der Gewerkschaftsbewegung

In Anbetracht der aktuellen weltpolitischen Lage scheint der G20-Gipfel ein gefundener Anlass, solidarische Alternativen in der Weltöffentlichkeit sichtbar zu machen. Diese Lage ist momentan geprägt durch einen internationalen Rechtsruck, welcher u.a. eine Folge der herrschenden neoliberalen Krisenverwaltung und eines sich immer autoritärer entwickelnden Kapitalismus ist. Genau dafür stehen die Beteiligten des G20-Gipfels mit ihrer Politik. In diesem Zusammenhang braucht es einen internationalen Protest, der das bestehende System, den Kapitalismus, als solches in den Mittelpunkt der Kritik stellt und sich nicht nur daran abarbeitet, die Institution »G20« zu kritisieren.

Wir wollen uns dabei nicht mit der Forderung nach einem Austausch der Akteure der G20 zufriedengeben, denn dies verklärt den Charakter der Verhältnisse den die G20 repräsentieren. Das Treffen steht für Profitmaximierung, ohne die Folgen für Natur und Umwelt zu beachten, für Freihandel, der zu wachsenden Ungleichheiten und der Verarmung ganzer Teile der Welt führt. Die versammelten Staaten sind die wesentlichen Waffenproduzenten und -exporteure und profitieren von bewaffneten Konflikten überall auf der Welt.

Die VertreterInnen der einzelnen Staaten haben im Laufe der Jahre gewechselt, dennoch hat sich nichts am Grundsatz der Konkurrenz zwischen den Nationalstaaten und allen damit verbundenen Auswirkungen auf uns (als lohnabhängig Beschäftigte) geändert.

Dabei stellen wir den berechtigten Protest gegen die Personen Trump, Putin, Merkel, Temer oder Erdogan nicht in Abrede. Wir denken jedoch, dass die Ursachen der angesprochenen Probleme nicht in Ihnen persönlich, sondern in den Produktions- und Reproduktionsverhältnissen der kapitalistischen Gesellschaft zu finden sind.

Drei Aspekte können zur Revitalisierung der Gewerkschaftsbewegung im Rahmen der Proteste gegen G20 beitragen.

1. Global kämpfen statt national verzichten

Als Gewerkschaften kämpfen wir Tag für Tag, vor allem im Betrieb und in Tarifauseinandersetzungen auf nationaler Ebene gegen die kleineren und größeren Angriffe des Kapitals. Oft aber verliert sich in der betrieblichen Perspektive der Blick auf den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang der eigenen Situation. Die äußeren Einflüsse auf die eigenen Arbeits- und Reproduktionsbedingungen scheinen als gegeben und unveränderbar. Besonders verloren gehen dabei die Möglichkeiten von kollektivem Widerstand und der Blick auf das Große und Ganze, begünstigt durch systemimmanente Vereinzelungs- und Individualisierungstendenzen. Hierdurch rückt die Perspektive, internationale Kämpfe zu führen, als Alternative zum kurzfristigen Verzicht zur Sicherung von Standort und Beschäftigung, in weite Ferne. Die Notwendigkeit, Kämpfe an anderen Orten zu seinen eigenen zu machen, steigt jedoch immer mehr. Einerseits um das Elend in der kapitalistischen Peripherie zu bekämpfen, andererseits um Kämpfe in den kapitalistischen Zentren nicht durch das Prinzip der internationalen Konkurrenz zu unterlaufen.

Angriffe wie z.B. die Austeritätspolitik der EU gegenüber Spanien, Griechenland oder Portugal, tragen mittelfristig nicht nur zu einer massiven Verschlechterung von Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen vor Ort bei. Ein so massiver Angriff auf soziale Sicherungssysteme und Löhne wird auch in den nicht unmittelbar betroffenen Ländern früher oder später dazu führen, dass die Lohnnebenkosten als zu hoch bewertet werden und der Rest der Sozialleistungen dadurch weiter eingestampft und beispielsweise das Renteneintrittsalter noch weiter angehoben werden soll.

Längst hat sich der Kapitalismus so weit globalisiert, dass Lösungen auf nationalstaatlicher Ebene kaum mehr dieser Dimension gerecht werden. Auch diejenigen, welche sich immer noch am Modell der Sozialpartnerschaft festklammern, müssen in Anbetracht dieser Entwicklungen feststellen, dass diese ein Auslaufmodell ist. Hieraus resultiert mehr und mehr die Notwendigkeit Widerstand zu globalisieren, vor allem von Gewerkschaften. Ein erster Schritt in die richtige Richtung ist der Aufbau von IndustriALL. Diese internationale Vernetzung hat heute schon erste konkrete Erfolge bei betrieblichen Abwehrkämpfen vorzuweisen.

Für uns liegt die Lösung in länderübergreifenden Kämpfen, welche sich im Kleinen und im Großen aufeinander beziehen. Dies wollen wir mit dem Protest gegen das Treffen der G20 deutlich machen.

2. Wiederaneignung des Politischen Mandats

Die Krisen ab 2007/2008 haben den Kapitalismus in seinen Fundamenten erschüttert und zu einer weiteren Verschärfung der internationalen Konkurrenz geführt. Anders als noch in den Krisen der 1970er und 1980er Jahre, geht mit den aktuellen Krisen ein autoritäres »Krisenmanagement« einher. Dafür ist die europäische Austeritätspolitik ein Beispiel. Aktuell beobachten wir ähnliche Auseinandersetzungen in Brasilien, wo durch massive soziale Einschnitte versucht wird, die Volkswirtschaft zu »restaurieren«, bzw. für den globalen Wettbewerb handlungsfähig zu machen.

Eine Gewerkschaftspolitik, die sich im Anbetracht dieser Entwicklungen vornehmlich auf betriebliche und tarifpolitische Kämpfe beschränkt, läuft zunehmend ins Leere. Neben der Internationalisierung der Kämpfe brauchen wir eine Wiederaneignung des (gesellschafts-)politischen Mandats durch die Gewerkschaftsbewegung.

In Anbetracht der Angriffe der Staaten auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen bedarf es einer Gewerkschaftsbewegung, welche gemeinsam mit den sozialen Bewegungen außerparlamentarischen Widerstand organisiert. Aktuell erleben wir genau dieses bei den Protesten in Brasilien, u.a. beim Generalstreik am 28. April, mit dem sich die IG Metall solidarisch erklärte. Ein Beitrag zur Wiederaneignung dieses politischen Mandats kann durch die Mobilisierung gegen den G20-Gipfel erreicht werden.

3. Solidarität leben – gemeinsam kämpfen

Viele junge GewerkschafterInnen werden zum ersten Mal an einem internationalen Protest dieser Größe teilnehmen, einige sogar zum ersten Mal an einer Demonstration. Wir denken, dass dieses Ereignis eine ähnlich politisierende Kraft auf junge GewerkschafterInnen haben kann, wie es auch die Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm oder die Aktivitäten um »Dresden Nazifrei« hatten.

Über die konkreten Kämpfe, die wir eingangs beschrieben haben, nehmen wir bei der Mobilisierung zu den Protesten derzeit wieder grundsätzlichere Diskussionen über die Verhältnisse, in denen wir leben, wahr. Dazu gehört auch die Diskussion über eine Gewerkschaftsbewegung, die ihrem Doppelcharakter (Kampf im Lohnsystem - Kampf gegen das Lohnsystem) ein Stück weit mehr gerecht wird.

Sofern sich die politische Arbeit und Diskussion über dieses Ereignis hinaus, in den alltäglichen Kämpfen fortsetzt, stehen wir vor einer Chance viele neue MitstreiterInnen für unsere Sache zu gewinnen.

Jugend gegen G20

Als Gewerkschaftsjugend sind wir gemeinsam mit 26 anderen Jugendorganisationen bzw. -gruppen Teil der bundesweiten Plattform – »Jugend gegen G20«. Hierbei geht es nicht nur darum, ein möglichst breites Bündnis aufzustellen. Vielmehr findet momentan ein vorher in dieser Form nicht dagewesener Austausch statt, welcher versucht, die unterschiedlichen Kämpfe zusammenzuführen.

Uns eint die Erkenntnis, dass ein gutes Leben für alle im Kapitalismus nicht möglich ist. Schließt euch uns an, seid Teil dieses Prozesses und tragt mit uns im Juli gemeinsam den Widerstand auf die Straße.

Timo Reuter und Marvin Hopp sind aktiv in der IG Metall Jugend Niedersachsen/Sachsen-Anhalt und dem Jugendausschuss beim Vorstand der IG Metall. Sie sind Teil der bundesweiten Plattform »Jugend gegen G20«.

Weitere Beiträge aus unserer nd-Reihe zum G20-Gipfel:

· »Hoffnung entsteht aus Rebellion« von Emily Laquer und Samuel Decker (Interventionistische Linke)

· »Fünf Gründe, in Hamburg gegen die G20 zu protestieren« von Werner Rätz (attac)

· ​»G20: Fight the Game, not the players« von TOP B3rlin

· »Frieden und Völkerrecht statt globalisierte NATO« von Karl-Heinz Peil (Bundesausschuss Friedensratschlag)

· »G20 fährt die Menschheit mit ›Wachstum‹ an die Wand« von NoG20-Klima-Aktivist*innen

· »Schuldenkrisen rechtzeitig und fair lösen« von Mara Liebal (erlassjahr.de)

· »Sturmgewehre und Sonderknast: Polizei rüstet für G20« von Ermittlungsausschuss Hamburg

· »Eine internationalistische Alternative am Hamburger Hafen« von Elio Di Muccio (Plan C, Birmingham)

· »Fragen der globalen Gesundheit: Abwehr oder Vorsorge?« von Anne Jung (medico international)

· »Gegen die Kriege, die sie führen. Den Frieden organisieren« vom Demokratischen Gesellschaftszentrum der Kurdinnen und Kurden in Deutschland

· »Gegen die kriegsfördernde Politik unserer Regierung« von Andreas Grünwald (Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung)

· »Wir werden bunt, laut und fröhlich demonstrieren« von Jan van Aken (Linksfraktion im Bundestag)

· »Die Wut auf den Gipfel« von radikale linke | berlin

· »Unflexible Hamburger Behörden« von Markus Mohr

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.