War Ex-Chef von »Blood and Honour« ein V-Mann?

Hinweise auf Spitzeltätigkeit des Anführers der verbotenen Neonaziorganisation für den Verfassungsschutz

  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn es stimmt, was drei ARD-Politmagazine berichten, befinden sich die deutschen Sicherheitsbehören einmal mehr in Erklärungsnot: Demnach soll der frühere Deutschland-Chef des seit dem Jahr 2000 verbotenen Neonazi-Netzwerks »Blood an Honour« offenbar als V-Mann für den Verfassungsschutz tätig gewesen sein.

Wie die ARD-Magazine Report Mainz, Report München und Fakt herausfanden, soll der Ex-Chef in den 1990er Jahren vom Berliner Landeskriminalamt an den Verfassungsschutz vermittelt worden sein. Als Beleg dafür stützen sich die Journalisten auf einen geheimen Aktenvermerk des LKA Berlin. Die Sicherheitsbehörden selbst gaben auf ARD-Anfrage hin keine Stellungnahme ab. Da die Anfrage den »operativen Kernbereich« betreffe, könnten »hierzu keine Auskünfte erteilt werden«, hieß es vom Bundesamt für Verfassungsschutz. Der Ex-Deutschland-Chef von »Blood and Honour« kommentierte die Vorwürfe lediglich mit einem »alles Quatsch«.

Auch innerhalb der Neonaziszene war früher offenbar ein Spitzelverdacht aufgekommen, da der Deutschland-Chef in einem Strafverfahren eine vergleichsweise »milde Strafe« in Höhe von 3000 Mark erhalten habe. Bezeichnenderweise erfuhr das LKA von den Gerüchten durch ein Gespräch mit einem anderen Spitzel, dem Neonazi Thomas S. aus Sachsen. Der Aktenvermerk über dieses Gespräch soll schließlich die Information geliefert haben, die auf die V-Mann-Tätigkeit des einstigen »Blood and Honour«-Chef verwies.

Dass der Fall voller Widersprüche steckt, zeigt auch die Behauptung, wonach der »Blood and Honour«-Chef noch vor dem Verbot der Neonaziorganisation im September 2000 diese verlassen haben soll. Allerdings zeigen die Recherchen nun, dass das Bundesinnenministerium die Verbotsverfügung an den Mann persönlich und in seiner Funktion als Vereinschef verschickte.

Die LINKE-Innenexpertin Martina Renner fordert Aufklärung: »Das ist nicht irgendwie der 12., 13. Spitzel im Netzwerk des NSU. Wir haben hier eine zentrale Figur von Blood and Honour mit Kenntnis zu europaweiten und bundesweiten rechtsterroristischen Aktivitäten.« Es müsse nun geklärt werden, wie lange der Mann Spitzel war, wer beim Verfassungsschutz darüber Kenntnis hatte und was der V-Mann zu militanten Strukturen und womöglich über den NSU wusste. »Blood and Honour« und der dazugehörige militante Arm »Combat 18« gelten als ihre wichtigsten Unterstützer. Unter anderem sollen Mitglieder der Neonazigruppe den mutmaßlichen NSU-Haupttätern Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mehrfach Unterschlupf verschafft haben.

Besonders pikant: Ausgerechnet die Akten zu »Blood & Honour« waren 2010 vom Berliner Verfassungsschutz geschreddert worden, wie erst zwei Jahre später bekannt wurde.

Irene Mihalic, Obfrau der Grünen im NSU-Untersuchungsausschuss, erklärte: »Wenn der Deutschland-Chef von Blood and Honour V-Mann war, dann ist da ganz klar eine Grenze überschritten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz muss jetzt im Bundestag lückenlos aufklären. Eine Aussage, man könne dazu nichts sagen, reicht nicht mehr.«

Politisch hat der Fall auf jeden Fall Konsequenzen: Wie der LINKEN-Politiker André Hahn am Dienstag erklärte, werde sich das Parlamentarische Kontrollgremium auf seinen Antrag hin mit den Vorwürfen beschäftigen. »Angesichts der Tragweite der im Raum stehenden Vorwürfe reicht mir eine Information durch den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz nicht aus. Ich erwarte, dass der Bundesinnenminister dazu persönlich vor dem Gremium erscheint und Stellung bezieht«, so Hahn. nd/rdm

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