Mehr homo- und transfeindliche Übergriffe registriert
Über die Hälfte der Vorfälle geschieht auf der Straße oder in öffentlichen Verkehrsmitteln
»Wir müssen die Opferhilfe stärken, denn das zeigt die gesellschaftliche Solidarität«, sagt Bastian Finke, Leiter des schwulen Anti-Gewalt-Projekts Maneo am Dienstag im Abgeordnetenhaus. »Das gilt genauso für Opfer von Rassismus und Antisemitismus«, so Finke weiter. Zusammen mit dem Abgeordnetenhauspräsidenten Ralf Wieland (SPD) schneidet er eine regenbogenfarbene Torte an, der von einer Friedenstaube gekrönt wird.
Anlass ist der Internationale Tag gegen Homo- und Transphobie, der an diesem Mittwoch begangen wird. Gleichzeitig veröffentlicht Maneo seinen Jahresbericht. Aus insgesamt 659 Hinweisen haben die Projektmitarbeiter 291 homo- und transphobe Übergriffe im Jahr 2016 herausgefiltert. Davon richteten sich zehn Fälle gegen die Gruppe allgemein, zum Beispiel Anschläge gegen das Homomahnmal. 243-mal waren schwule oder bisexuelle Männer Opfer, 13 Betroffene waren weiblich, 25 mal richteten sich Straftaten gegen Transpersonen. Vor allem gegenüber Männern steigen die Zahlen seit Jahren. Ob die Fälle tatsächlich zunehmen oder nur die Meldebereitschaft bei Betroffenen größer wird, lässt sich allerdings schwer sagen.
Rot-Rot-Grün will mit einem Queer-Jugendzentrum gegen die hohe Suizidrate bei queeren Jugendlichen vorgehen. Einen entsprechenden Antrag haben die Fraktionen ins Abgeordnetenhaus eingebracht, der am Donnerstag auf der Tagesordnung steht.
Mit dem speziellen Angebot für lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, inter* und queere (LSBTTIQ*) Jugendliche reagiert die Koalition auf die besonderen psychosozialen Belastungen und ein vier- bis sechsfach erhöhtes Suizid-Risiko.
»Ob im Elternhaus, in der Schule, am Ausbildungsplatz und auch im öffentlichen Raum – Diskriminierungserfahrungen gehören für sie zum Alltag. Immer noch sind sie Ausgrenzung, Pöbeleien und auch Gewalt ausgesetzt – das wollen wir angehen. Berlin muss junge LSBTTIQ* beim Coming-out besser begleiten und die queere Jugendarbeit ausbauen«, erklären die queerpolitischen Sprecherinnen und Sprecher von SPD, LINKEN und Grünen in einer gemeinsamen Pressemitteilung. nic
»Auffällig ist jedoch, dass 56 Prozent der Fälle in der Öffentlichkeit stattfinden«, sagt Finke. »Es gibt in der Stadt immer noch viele Menschen, die mit homo- und transsexueller Sichtbarkeit nicht umgehen können«, so sein bitteres Fazit. Das schlägt sich auch in den Tatorten wieder. Ein Viertel der Übergriffe werden aus dem Altbezirk Schöneberg gemeldet, einer traditionellen Schwulengegend mit vielen Lokalen. Jeweils zehn Prozent der Meldungen stammen aus Mitte und Tiergarten, jeweils neun Prozent aus Kreuzberg und Neukölln.
In Schöneberg habe es im vergangenen Jahr eine ganz Welle von sogenannten Antanzdiebstählen gegeben, berichtet Finke. Dabei komme es auch häufig zu sexuellen Übergriffen, bevor die Opfer bestohlen oder beraubt werden. »Das zeigt, wie die Täter die Opfer sehen«, sagt Finke. »Durch verstärkte Polizeipräsenz konnten diese Vorfälle aber wieder eingedämmt werden«, lobt der Projektleiter die Zusammenarbeit.
Dass die Polizei nicht ohne Grund die homosexuelle Orientierung des 34-jährigen Italieners nannte, der Sonntagfrüh im Volkspark Friedrichshain erstochen wurde, zeigen Fälle, die der Jahresbericht 2016 schildert.
So wurde ein 44-Jähriger schwuler Mann vor ziemlich genau einem Jahr nachts in dem bekannten Cruisinggebiet, in dem Männer sich zum Sex treffen, von einer Gruppe junger Männer zunächst angepöbelt. Weiter heißt es in dem Bericht: »Zwei Männer schrien ihm laut Beleidigungen wie ›Schwuli‹ zu. Sie riefen andere Gruppenmitglieder zu sich: ›Hier ist einer‹; ›Wir haben einen.‹ Als der betroffene Mann weitergehen wollte, hinderte ihn einer der Männer, indem er seine Kapuze festhielt. Dann wurde ihm Pfefferspray in sein linkes Auge gesprüht.«
Im Tiergarten, dem bekanntesten Cruisingareal der Stadt, wurden im vergangenen Jahr mehrere Männer homophob bedroht. In einem Fall wurde eine Gruppe mit einer unbekannten Flüssigkeit bespritzt, in einem anderen Fall waren die Täter mit Hammer und Rohrzange bewaffnet. Der Mord an einem 2015 dort aufgefundenen 64-jährigen schwulen Touristen ist bis heute nicht aufgeklärt.
»Uns selbst fehlt noch Geld für die Opferhilfe«, sagt Bastian Finke von Maneo. Die Finanzierung mindestens eines weiteren Mitarbeiters würde er sich wünschen. Genauso gehe es aber auch um Gewaltprävention. »Man muss sich auch um die Täter kümmern. Man darf auch sie nicht abschreiben«, sagt Finke.
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