Manifest für gestresste Eltern
Böll-Stiftung macht weitreichende Vorschläge zur Familienpolitik
Junge Eltern überraschen derzeit mit einer gewissen Gelassenheit. Die Angst, sich wegen des Nachwuchses im Berufsleben Chancen zu verbauen, ist nicht mehr so ausgeprägt wie noch vor zehn oder 15 Jahren. Vielmehr äußern Väter vermehrt den Wunsch, sich in ihren Familien aktiver einzubringen, und Frauen legen Wert darauf, trotz ihrer Mutterrolle den Kontakt zur Arbeitswelt nicht dauerhaft abzubrechen. Es geht um die vielzitierte Work-Life-Balance, um das Gleichgewicht von Arbeit und Leben, das Eltern derzeit mit einer gewissen Selbstverständlichkeit einfordern.
Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) sieht diesen Einstellungswandel ein Stück weit als ihr Verdienst an. Sie hat in den vergangenen vier Jahren an mehreren familienpolitischen Stellschrauben gedreht: Neue Kita-Plätze wurden geschaffen, das Elterngeld weiterentwickelt, der Unterhaltsvorschuss reformiert, kleinere Reformen stieß sie zur Geschlechtergerechtigkeit an. Auch im Bundestagswahlkampf der Sozialdemokraten will sie der Familienpolitik einen großen Stellenwert verleihen.
Die Heinrich-Böll-Stiftung hat dieses Anliegen aufgegriffen. Vor zwei Jahren setzte die Grünen-nahe Stiftung eine familienpolitische Kommission ein, die nun ein Manifest vorgestellt hat, das bei Weitem über das, was die SPD fordert, hinausgeht. Familienarbeit finde zwar im Privaten statt, ist jedoch keinesfalls eine private Angelegenheit, betont sie die Dringlichkeit von weiteren Maßnahmen. Sonst könnte weder Erwerbsarbeitssystem, noch Sozialstaat, Bildungswesen oder Zivilgesellschaft funktionieren.
Handlungsbedarf für familienpolitische Reformen drängt sich nach wie vor auf. Denn trotz Schwesigs Maßnahmen ist eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf vielfach noch immer nicht zufriedenstellend. Im OECD-Vergleich ist diese in Deutschland weitaus schwieriger hinzubekommen als in anderen Ländern.
Mit ihrem Manifest hat die Kommission nun konkrete Handlungsoptionen im sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bereich erarbeitet. Im Kern geht es darum, eine Sozial- und Bildungsinfrastruktur zu fördern, Familien in ihrer Vielfalt zu unterstützen und vom Zeitdruck zu entlasten.
Mit zehn zentralen Forderungen schlägt die Kommission Maßnahmen vor, die vor allem einkommensschwachen Familien zugutekommen würden. So will sie den Kindergeldzuschlag für Alleinerziehende anheben und das Kindergeld nicht mehr mit dem staatlichen Unterhaltszuschuss verrechnen. Gemeinsam mit dem Deutschen Kinderhilfswerk fordert sie zudem ein Bundesteilhabegesetz - mit dem Ziel: gleiche Entwicklungschancen für Kinder voranzubringen, was einer Armutsgefährdung entgegenwirken würde. Ferner benötigten Eltern laut Kommission Zeit, um ihrer Doppelrolle gerecht zu werden. Sie schlägt daher ein Gutscheinsystem vor, um die Haushaltsarbeit auszulagern. Darüber hinaus bringt sie eine Familienzeit ins Spiel, die gerade Menschen mit geringem Einkommen helfen solle, sich erwerbsunabhängig für einen begrenzten Zeitraum abzusichern.
Würden diese Forderungen nun umgesetzt werden, käme das zweifellos einer Zäsur gleich. Der Haken an den Vorschlägen ist aber, dass sie überaus kostspielig sind. Doch in Zeiten, in denen die Bundespolitik lebhaft darüber streitet, wie sie mit den erwarteten Haushaltsüberschüssen umgeht, wirkt auch ein solches Manifest keineswegs wie aus der Zeit gefallen.
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