Peymann und Hygiene

Berliner Theatertreffen

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 3 Min.

Claus Peymann ist einfach eine unfassbar coole Sau. Seit Jahren erntet der scheidende Intendant des Berliner Ensembles von den meisten Theaterkritikern nur noch Spott. Altbacken seien seine Inszenierungen, so das Pauschalurteil. Trotzdem (oder gerade darum?) saß Peymann beim 54. Theatertreffen bisher vor fast jeder Premiere an der jeweiligen Spielstätte und verkaufte sein opulentes Erinnerungsbuch »Mord und Totschlag«. Er zählt zu den wenigen Theatertitanen, die nicht nur im eigenen Saft schmoren, sondern sich für das interessieren, was und wie die Jüngeren inszenieren.

Obwohl Peymann schon lange nicht mehr aktiv mitmischen darf beim Theatertreffen (er war insgesamt 19 Mal eingeladen), ist er diesmal so etwas wie ein Maskottchen, das liebevoll durch den Twitter-Kakao gezogen wird. So stark der Mann sich im aktuellen Abschiedsinterviewmarathon auch von der eigenen Großartigkeit eingenommen zeigt, in dieser Hinsicht ist er uneitel: Vor dem Gastspiel der skurrilen Performance »Real Magic« im Hebbel am Ufer (HAU), an dem Peymann einst zu den »jungen Wilden« gehörte, ließ er sich sogar von der HAU-Chefin Annemie Vanackere vertreiben.

Als willkommener Gast war er schon zum Auftakt vor Simon Stones Version der »Drei Schwestern« am Haus der Berliner Festspiele mit seinem Büchertisch anwesend, tags darauf reiste er mit selbigem nach Oberschöneweide, um sich die Dortmunder »Borderline Prozession« in den bitterkalten Rathenau-Hallen anzusehen.

Nachdem am Samstag in den Sophiensælen mit dem Kindermörderabend »Five Easy Pieces« von Milo Rau der zu Recht umjubelte bisherige Höhepunkt des diesjährigen Spektakels erreicht war, feierte am Sonntag die Leipziger Adaption von Peter Richters grandiosem Wenderoman »89/90« ihre Premiere. Seit der zweiten Aufführung am Montagabend hat das Theatertreffen endlich seine große Kontroverse! In der literarischen Vorlage geht es um die junge Generation am Ende der DDR. Dabei kommt es zur Frontbildung zwischen Linken und Rechten. Letztere reden so, wie Nazis sich eben ausdrücken. Menschen aus dem asiatischen Raum werden als »Fidschis« beleidigt, Frauen aus der DDR als »Ostfotzen« beschimpft.

Ein Satz jedoch, der so im Buch steht und sowohl in den Leipziger Vorstellungen als auch bei der Berliner Premiere vorkam, gelangte nun verändert zum Vortrag. Ein Nazi teilt einem anderen mit, er gehe jetzt mal »einen Neger abseilen« - ein ekelhafter Vulgärausdruck für das große Geschäft auf der Toilette. Andreas Dyszewski, der die besagte Rolle spielt, sagte am Montag: »Ich geh mal einen N … BEEEP abseilen.« Beim Theatertreffen-Blog schreibt Marie-Theres Rüttiger, die Szene habe »nicht einstudiert« gewirkt.

Fast hätte sich das im Theaterbetrieb sehr präsente und inhaltliche Debatten erschwerende Befindlichkeitsthema der Sprachhygiene aussparen lassen. Aber eben nur fast. Denn die mutmaßliche Selbstzensur wirft Fragen auf. Warum wird gerade dieses Wort gebeept und nicht »Fidschi« oder »Ostfotze«? Verschwindet der Rassismus, wenn im Alltag indiskutable Begriffe auch in einem eindeutigen Kunstkontext vermieden werden? Und welcher Nazi sagt eigentlich »N ... BEEEP«?

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