Mit den Patientenakten spielten Kinder

Bei einer Feierstunde wurde an die Anfänge des Datenschutzes in Brandenburg erinnert

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Vierteljahrhundert nach der Bildung einer Datenschutzbehörde für das Land Brandenburg sind grundsätzliche Fragen neu zu beantworten. So sehr man von den Chancen beeindruckt sein könne, welche die schöne neue Informationswelt biete, heute gehe es darum, den »Respekt vor dem Menschen nicht zu verlieren«, meinte die Landesdatenschutzbeauftragte Dagmar Hartge am späten Dienstagnachmittag bei der Feierstunde im Landtag. Einerseits dürfe der Datenschutz technische Entwicklungen nicht behindern, andererseits müsse dafür gesorgt werden, dass diese Entwicklungen im Einklang mit den Grundrechten stehen.

Welch ungeheurer Abstand zur Situation von vor 25 Jahren besteht - und zwar in vielerlei Beziehung - wurde im Vortrag von Dietmar Bleyl deutlich, des ersten brandenburgischen Datenschutzbeauftragten. Er rang noch immer mit der zentralistischen Datenerfassung in der DDR, die »wie ein Krake« gewesen sei. Der Versicherungskonzern Allianz als Nachfolger der Staatlichen Versicherung der DDR habe bis weit in die 1990er Jahre hinein die aus der DDR herrührenden Personenkennzahlen als Versicherungsnummern genutzt.

Einfach nicht verstehen wollte Bleyl, dass in einem Unternehmen die neue Datenschutzbeauftragte die »frühere Parteisekretärin« gewesen ist. Bleyl schilderte, wie seine Behörde im Oranienburger Schloss auf Karteikästen stieß, die sensible Patientendaten einer Poliklinik enthielten. Nicht nur spielende und stöbernde Kinder machten sich dort zu schaffen, auch »Spuren von Kleinnagern« seien ausgemacht worden. Dieser Fall einer ersten offiziellen Beanstandung durch die Datenschutzbehörde habe ihm eine Vorladung beim damaligen Landtagspräsidenten Herbert Knoblich (SPD) und einen Rüffel eingetragen, erinnerte sich Bleyl. »Das blieb für mich langfristig nicht ohne Folgen.« Karriere konnte er in Brandenburg nicht mehr machen. Knoblich habe sich seinerzeit Handlungen verbeten, »die nicht zuvor über seinen Tisch gegangen« seien. Damit habe Knoblich die Unabhängigkeit des Datenschutzes in Frage gestellt.

Die Datenschutzbehörde in Brandenburg betrachtet sich aber auch als Anwalt der Offenlegung: In der Verfassung des Bundeslandes war seit 1993 das Akteneinsichtsrecht verankert, womit laut Bleyl das »tradierte Amtsgeheimnis« in Deutschland unmittelbar attackiert worden ist. Allerdings hat es dann noch viele Jahre gedauert, bis der Landtag ein Gesetz verabschiedete, das dieses Recht auch für den Bürger praktisch durchsetzbar und handhabbar gemacht hatte. Die im Gesetz festgelegten erheblichen Einschränkungen für die Akteneinsicht wurden mit schutzwürdigen Privatinteressen und Geheimnisinteressen von Behörden außerhalb Brandenburgs begründet. Bleyl schilderte, wie eine anfänglich hohe Erwartung der Brandenburger in den Datenschutz einer »allmählichen Enttäuschung« gewichen sei, und dass die abgeforderte Offenlegung von privaten Angaben im schriftlichen Behördenverkehr vielen Menschen äußerst suspekt gewesen sei.

Heute besteht die Gefahr des »gläsernen Menschen«, des flächendeckenden Eingriffs äußerer Mächte in die Privatsphäre. Die zur Feierstunde geladene Ex-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sprach von einem »weit verbreiteten Unbehagen« gegenüber einer Digitalisierung, die alle Lebensbereiche durchdringe. In den Händen von wenigen Internetkonzernen liege eine »unglaubliche Datenmacht«, was diese in den Augen von jungen Menschen auch noch »cool« mache. »Die Unternehmen schießen aus zwanzig Rohren, der Datenschutz vielleicht aus zwei«, zitierte sie den bayerischen Datenschutz bei der Beschreibung des heutigen Kräfteverhältnisses. Notwendige Beschränkungen der Weiterverbreitung und Verwertung der von den Konzernen gesammelten persönlichen Daten könnten nach Lage der Dinge nur noch international durchgesetzt werden. Leutheusser-Schnarrenberger erinnerte an datenschutzrechtliche »Klassiker« wie das Verbot der anlasslosen Überwachung und das »Recht auf Vergessen«. Sie sagte: »Jeder hat das Recht, seine Privatheit, die niemanden etwas angeht, zu verbergen.«

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